Köln: 22.–23.05.2024 #polismobility

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Die Elektromobilität kommt

Brechen jetzt die Stromnetze zusammen?

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Kevin Kotthaus und Prof. Markus Zdrallek über den erhöhten Strombedarf durch Elektromobilität – und warum dieser kein Grund zur Sorge ist.

Kevin Kotthaus im Smart-Grid-Labor des Lehrstuhls für Elektrische Energieversorgungstechnik © Berenika Oblonczyk

Kevin Kotthaus im Smart-Grid-Labor des Lehrstuhls für Elektrische Energieversorgungstechnik © Berenika Oblonczyk

Um diesen Gerüchten zu Beginn dieses Beitrags direkt den Stecker zu ziehen: Die Antwort ist „Nein“! Natürlich ist die Beantwortung dieser Frage deutlich komplexer, da ansonsten die aktuellen politischen, wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, aber auch technischen Diskussionen zu diesem Thema überflüssig wären. Bei allen Erfahrungen mit Erneuerbaren Energien und den Kundinnen und Kunden, die sich zu sogenannten Prosumern, also Produktionsteams von elektrischer Energie und gleichzeitig Konsumierende, entwickelt haben, ist die Elektromobilität von einer neuen Qualität. Doch worin liegt das eigentliche Problem?

Brechen die Stromnetze zusammen?

Während die meisten Leitungen zu den Hausanschlüssen die elektrische Ladeleistung einer Wallbox mit 11 kW oder 22 kW bereitstellen können, kann die Belastung der Zuleitungen in der Straße oder des Ortsnetztransformators ein Problem darstellen. Wenn, wie in derzeitigen Diskussionen oft proklamiert, zukünftig alle Bewohnerinnen und Bewohner eines Straßenzugs gleichzeitig nach der Arbeit um 17:30 Uhr ihr Elektrofahrzeug laden, sind die kumulierten Lastspitzen, also der momentane Strombedarf, in den meisten Stromnetzen zu hoch für die Kapazitäten der angesprochenen Netzbetriebsmittel. Das Auftreten solcher Netzengpässe ist durchaus möglich, aber auch bei steigenden Zahlen an Elektrofahrzeugen und Ladesäulen eher die Ausnahme als die Regel.

Grund dafür sind sogenannte Gleichzeitigkeitsfaktoren, die bei Netzplanungsprozessen eine statistische Wahrscheinlichkeit des Verbrauchsverhaltens von Endkundinnen und Endkunden abbilden. Eben dieses Nutzerverhalten ist auch bei der Bewegung des Pkw nicht bei allen Endkundinnen und Endkunden identisch und widerlegt die These des schwarmartigen Ladeverhaltens ab 17:30 Uhr. Auch bei der Ladung des Elektrofahrzeugs führen Einflussfaktoren wie z. B. tägliche Fahrtstrecken und unterschiedliche Arbeitszeiten zu Gleichzeitigkeitsfaktoren, die planerisch berücksichtigt werden. Was passiert allerdings, wenn der Ladebedarf doch einmal deutlich höher als im Normalfall ist?

Geeignete Lösungen wie intelligente Netzkomponenten und Lademanagementsysteme, die je nach Netzauslastung optimierte Ladestrategien umsetzen und auch ohne Komforteinbußen für den Endkunden temporär die verfügbare Ladeleistung drosseln und den Ladevorgang zeitlich verschieben, sind technisch umsetzbar. Die aktuellen regulatorischen Rahmenbedingungen und offene Fragen u. a. bezüglich der Abrechnungssystematik, der Datenkommunikation und des Umgangs mit den entstehenden Kosten beim Verteilnetzbetreiber durch innovative Maßnahmen hemmen den Einsatz solcher Systeme, der jedoch nach Einschätzung von Expertinnen und Experten eher früher als später kommen muss.

Während in der aktuellen Verteilnetzstudie NRW des Landesministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie (MWIDE) der Netzausbaubedarf alleine in Nordrhein-Westfalen auf ca. 15,4 Milliarden Euro bis 2040 geschätzt wird, sind die reinen Investitionssummen nicht einmal die größte Herausforderung. Der Umfang des identifizierten Netzausbaus ist schlichtweg aufgrund der dafür notwendigen Planung und Disposition bei den Netzbetreibern sowie insbesondere aufgrund der erforderlichen Tiefbauarbeiten kaum zu bewältigen. Der Einsatz intelligenter Ladesteuerung, die deutlich flexibler umgesetzt werden kann als konventionelle Ausbaumaßnahmen, kann hingegen die Ausbaubedarfe verzögern und nach Ansicht der Gutachterinnen und Gutachter die notwendigen Investitionen um ca. sechs Milliarden Euro reduzieren. Das klare Fazit: Die Elektromobilität kommt – die Stromnetze stehen vor Herausforderungen, brechen aber nicht zusammen.

Über die Autoren dieses Gastbeitrags

Prof. Markus Zdrallek

Prof. Markus Zdrallek hat Elektrotechnik an der Technischen Hochschule Darmstadt studiert und an der Universität Siegen promoviert. Von 2000 bis 2010 war Prof. Zdrallek in verschiedenen leitenden Funktionen des Energieversorgungsunternehmens RWE in Siegen, Brauweiler, Neuss und Warschau tätig – zuletzt als Prokurist der RWE Rhein-Ruhr Netzservice GmbH. Seit April 2010 ist er Professor an der Bergischen Universität Wuppertal, Leiter des Lehrstuhls für Elektrische Energieversorgungstechnik. Gleichzeitig ist Prof. Zdrallek wissenschaftlicher Direktor der neue effizienz – Bergische Gesellschaft für Ressourceneffizienz mbH.

Kevin Kotthaus

Kevin Kotthaus ist seit März 2021 Oberingenieur am Lehrstuhl für elektrische Energieversorgungstechnik. Er leitete bis Anfang des Jahres die Forschungsgruppe „Energiemärkte und Flexibilitätsmanagement“. Kotthaus erwarb 2015 seinen Bachelor of Science im Wirtschaftsingenieurwesen Elektrotechnik an der Bergischen Universität Wuppertal, wo er zwei Jahre später seinen Master of Science im Wirtschaftsingenieurwesen Energiemanagement erlangte.

Über die Forschungstätigkeit des Lehrstuhls

Am Lehrstuhl für Elektrische Energieversorgungstechnik der Bergischen Universität Wuppertal forschen unter Leitung von Prof. Markus Zdrallek über 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an innovativen Planungsmethoden und Lademanagementsystemen, um die Integration der Elektromobilität in die Stromnetze intelligent und volkwirtschaftlich sinnvoll zu ermöglichen. Auch dafür werden ein eigenes Smart-Grid-Labor und ein Testnetz genutzt, um technisch innovative Lösungen realitätsnah erproben zu können. Zustandsbewertung von Betriebsmitteln, Modellbildung und Optimierung von Netzen und Netzbetrieb sowie „intelligente“ Stromnetze für die Energiewende sind die Hauptforschungsgebiete des Lehrstuhls. Der Lehrstuhl für Elektrische Energieversorgungstechnik gestaltet gemeinsam mit Partnern aus Energieversorgung, Industrie und Energiedienstleistern die Struktur der zukünftigen Energieversorgung. Zu den Projektpartnern gehören etwa die Bundesregierung, die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen, europäische Behörden sowie große Energieversorger ebenso wie Stadtwerke und Verbände. Für seine Forschungsarbeit wurde der Lehrstuhl mehrfach mit Wissenschaftspreisen ausgezeichnet.