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D-Ticket: Blaupause der Digitalisierung des ÖPNV

Bus- und Bahnunternehmen in der Transformation

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Martin Schmitz vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen schildert die Transformationen im Nahverkehr und die Rolle der Digitalisierung dabei.

© Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.

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Deutschland ist im Wandel. Infolge der sich immer stärker verändernden Rahmenbedingungen und neuer Ziele – beispielsweise der ehrgeizigen Klimaschutzziele für den Verkehrssektor – treiben die deutschen Verkehrsunternehmen und -verbünde die technische und organisatorische Transformation voran. Die Covid-Pandemie wirkte bereits wie ein Beschleuniger dieser Entwicklung. Weitere Treiber sind steigende Strom- und Kraftstoffpreise, der Fach- und Arbeitskräftemangel bei gleichzeitigem Wandel der Arbeitswelt, das Ziel der Verminderung von Lärm- und Feinstaubemissionen, die Elektrifizierung des öffentlichen Verkehres auf Schiene und Straße, der Umbau der Städte für eine bessere Lebensqualität und eine höhere Verkehrssicherheit – und nicht zuletzt die Ausbauziele für Bus und Bahn selbst. Manche Faktoren sind zugleich Folge anderer Entwicklungen und wirken ihrerseits dynamisch auf andere Prozesse. Das bekannteste Beispiel dieses Wandels ist die Einführung des Deutschland-Tickets mit all seinen Folgen – und in digitaler Form. Denn eine Lösung für vieles liegt oftmals in der Digitalisierung der Prozesse.

Es ist in der Regel so, dass es bereits digitale Musterlösungen für die verschiedensten Herausforderungen gibt – allerdings regional unterschiedlich, nicht bundesweit einheitlich. Der ÖPNV ist Teil der Daseinsvorsorge und aus gutem Grunde auf Landes- bzw. Landkreisebene organisiert. Diese Struktur hat viele Vorteile – seit Jahren steigen die Fahrgastzahlen – jedoch den Nachteil, dass Innovationen nicht überall in Deutschland an einem Zielstandard orientiert und im Gleichschritt umgesetzt und finanziert werden. Wer also Digitalisierung möchte, braucht zunächst Homogenisierung über bundesweite Mindeststandards. Auf der Habenseite ist, dass der VDV als Branchen- und Fachverband die Standards formuliert und empfiehlt. Auch das Deutschland-Ticket macht es derzeit vor: Der Bund hat die Ausgestaltung im Grundsatz („digital“) vorgegeben und finanziert diese auch anteilig mit den Ländern – diese Lösung kann als Blaupause für andere Bereiche dienen: Die digitale Form für die Kundenseite bedingt digitale Hintergrundsysteme. Wenn also alle Verkehrsunternehmen das Ticket verkaufen können, ob per App oder Chipkarte, dann ist die übliche örtliche Bindung am Fahrkartenautomaten oder die regionale App nicht mehr da. Für die Unternehmen birgt dies erhebliche finanzielle Risiken, wenn sie nicht wissen, ob die Tickets auch weiterhin bei ihnen direkt oder bei einer App eines anderen Unternehmens gekauft werden. Für die Einnahmenaufteilung und die Fahrgastzähldaten werden also flächendeckende Daten eines hohen Standards zur Verfügung stehen müssen. Vor der Branche liegt ein Kraftakt, der aber auch starke Synergieeffekte zeitigen könnte.

Beispiel Auslastungsanzeigen und -steuerung von Bus und Bahn: Die Brancheninitiative BRAIN erwartet eine Milliarde zusätzliche Fahrgäste im ÖPNV bis 2030. Es ist aus Sicht der Kundinnen und Kunden, aber auch für die Verkehrsplanung („Reisendenlenkung“) von Vorteil zu wissen, wann die Busse und Bahnen stärker nachgefragt werden – und wann die Fahrzeuge eher leer sind. Für die Fahrgäste bedeutet das Orientierung: Nicht nur die Erwartungshaltung für die Fahrt – aktiver Hinweis via Smartphone – kann an die Wirklichkeit angepasst, sondern der gewählte Wagen am Zug oder auch die Abfahrtszeit flexibel gestaltet werden. Diese Technik sorgt auch im Störungsfall für eine schnellere Kommunikation. Erfolgreiche Pilotprojekte gab und gibt es unter anderem in Hamburg, Berlin, im Rhein-Main-Gebiet. Corona führte zu einem höheren Abstandsbedürfnis unter den Fahrgästen und so zu einer zusätzlichen Dynamik, der VDV empfahl seinen über 640 Mitgliedsunternehmen eine stärkere Nutzung dieser Systeme. Jedoch: Aufgrund der Dynamik und aufgrund von Förderprogrammen, die unterschiedliche Ansätze voraussetzen, sind viele lokale Lösungen entstanden, die nun technisch wieder zusammengeführt werden müssen. Es entsteht finanzieller Mehraufwand für die Integration unterschiedlicher Lösungen auf einen Standard.

Beispiel Echtzeitdaten: Die Bereitstellung von flächendeckenden Echtzeitinformationen bei Bus und Bahn ist weit vorangeschritten. Darauf aufbauend gibt es vielfältige Projekte, welche diese berücksichtigen: Sharing-Angebote (zum Beispiel Mobility Inside), Zustandsinformation von Rolltreppen und Aufzügen (zum Beispiel bei der KVB in Köln), dynamische Umsteigeinformationen oder die bereits genannte Fahrzeugauslastung. Aber: Die Darstellung der Information ist oftmals lokal unterschiedlich. Wie sollen mehrere Folgehaltestellen an einer Innenanzeige angezeigt werden – von oben nach unten? Andersherum? Wie soll die Wegelenkung an großen Haltestellen gestaltet werden? Wie komme ich in einer U-Bahn-Station zum richtigen Ausgang? Auch hier gibt es mit Blick auf die digitale Abbildung der Infrastruktur und die Pflege der Daten den finanziellen Faktor. Der VDV erarbeitet technische Empfehlungen für eine Harmonisierung des Datenaustauschs.

Wenn die Verkehrswende gelingen soll, muss der ÖPNV in den Städten im Linienbetrieb noch stärker werden – und bis in den ländlichen Raum hinein – mit kleineren E-Bussen, buchbar per App („on demand“), zur echten Alternative zum Auto werden. Das gesamte bestehende Angebot muss dafür digital verknüpft, flexibler und transparenter werden – um für weitere Kundengruppen attraktiver zu werden. Dafür braucht es bundesweit geltende Standards – und die daran gekoppelte Finanzierung. Wie die Innovationen aussehen, zeigen die Unternehmen bereits vor Ort. Darüber hinaus sind Finanzierungen für einen Flächenrollout ohne Sonderentwicklungen bei den Umsetzungen der digitalen Plattformen notwendig.

MARTIN SCHMITZ

© Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e.V.

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ist seit September 2012 Geschäftsführer Technik des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV). Der Diplom-Ingenieur der Elektrotechnik war zuvor seit 1998 bei der Vossloh Kiepe GmbH in unterschiedlichen führenden Positionen tätig, u.a. von 2008 bis 2011 als Geschäftsfeldleiter für elektrische Antriebe für Straßenfahrzeuge und Marketing oder als Mitglied der Geschäftsleitung.

Autor

Martin Schmitz, Geschäftsführer Technik, Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV)