Köln: 22.–23.05.2024 #polismobility

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MAN PLANT FÜR DAS, WAS MAN KENNT

Die große Vision einer wünschenswerten Mobilität für alle und wie man sie erreicht

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Community Creates Mobility versteht Mobilität als Gemeingut und will Innovationsprozesse in der Mobilität demokratisieren.

Marek Knopp und Georg Frauwallner

© Marek Knopp © Georg Frauwallner

Planungen, Entscheidungen und Innovation im Bereich Mobilität orientieren sich sehr stark daran, schnelle Lösungen für akute Probleme zu finden und nicht daran, Mobilität so zu gestalten, dass sie für die Gesellschaft und deren Bedürfnisse am besten funktioniert. Ein Ökosystem namens Community Creates Mobility versteht Mobilität als Gemeingut und will Innovationsprozesse in der Mobilität demokratisieren. Eine große Vision – doch funktioniert das wirklich, und wenn ja, wie?

Warum jetzt Bewegung gefragt ist

In Zeiten von Veränderungen durch Gesundheits- und Klimakrisen steht unsere Gesellschaft vor großen Herausforderungen. Keine Organisation, kein Verein und keine Stadt kann in der heutigen dynamischen und schnelllebigen Welt die Entwicklung von Lösungen für alle alleine schaffen. Damit diese gelingen, braucht es ein starkes gemeinsames Verständnis, den Anstoß zu mehr Zusammenarbeit und eine gemeinsame Vision für die Zukunft der Mobilität.

In den vergangenen Jahren wurde durch die Corona-Pandemie vermehrt der Blick auf neue Wege und Möglichkeiten gelenkt. Es ist das Bewusstsein entstanden: Mobilität kann anders gelebt werden. Dass Mobilität ein Grundrecht ist, schreibt unter anderem auch das Zukunftsinstitut. Mobilität kann auch als ein Gemeingut verstanden werden, also als etwas, das von allen für alle gestaltet, verwaltet und genutzt wird. Dafür sollen Innovationsprozesse demokratisiert werden und neue Wege und Kollaborationen abseits des Wettbewerbsdenkens geschaffen werden. Doch warum das Ganze und wie kann es funktionieren?

Mobilität ist doch neutral, oder?

Mobilität für alle hat den Anspruch und die große Herausforderung, Bedürfnisse von verschiedensten Gruppen der Bevölkerung zu berücksichtigen. Diese Vielfalt spiegelt sich selten in den angebotenen Mobilitätsservices wider. Ein Grund dafür lässt sich unter anderem in der geschlechtsspezifischen Zusammensetzung von Planungsgruppen finden. Zur genaueren Veranschaulichung: Der durchschnittliche Frauenanteil im europäischen Transportsektor liegt bei 22 %. Der Anteil weiblicher Fahrgäste im öffentlichen Verkehr liegt bei rund 60 % – eine beachtliche Differenz bei den Entwicklerinnen und Entwicklern einerseits und den Nutzerinnen und Nutzern.

Traditionelle Mobilitätserhebungen sind oft sehr rudimentär gestaltet und decken etwa kaum die Wegezwecke von Frauen ab. Je mehr man über Bewegungsmuster weiß, desto besser kann man Entscheidungen treffen und je eher werden bedarfsgerechte Lösungen gefunden. Dabei spielen Daten eine erhebliche, wenn nicht sogar die entscheidende Rolle. Zahlreiche Mobilitätserhebungen sind aufgrund des fehlenden Wissens an diversen Bewegungsmustern nicht repräsentativ für die gesamte Bevölkerung und verraten vergleichsweise mehr über männliche Bewegungsmuster. Männliche Bedürfnisse werden somit fälschlicherweise oft zum Status quo der Gesellschaft erhoben. Man spricht auch vom „male default“, der als Grundlage für Entscheidungen genommen wird. Denn man plant für das, was man kennt. Was es braucht, sind mehr Wissen und Verständnis über diverse Bewegungsmuster.

Bewusstsein über Lebensrealitäten

Während Männer eher einfache Strecken mit dem Auto zurücklegen, bewegen sich Frauen vermehrt intermodal fort und legen mehr und komplexere Wegeketten zurück. Daraus lässt sich schließen, dass sich Frauen anders fortbewegen und andere Anforderungen an die Mobilität haben. Vor allem Menschen, die in der Bevölkerung die Sorgearbeit leisten, legen häufiger Wegeketten denn einfache Pendlerstrecken zurück. Das bedeutet zum Beispiel, dass Frauen auf dem Weg von der Arbeit nach Hause noch mehrere Stopps einlegen – sei es am Supermarkt, am Sportverein des Kindes oder an der Pflegeeinrichtung.

In einer sich verändernden Welt wird es immer wichtiger, die Vielfalt von Bewegungsmustern zu erfassen, um mit diesen weiter arbeiten zu können. Um diese zu erfassen, müssten aber auch die Beteiligungsprozesse in einer Art gestaltet sein, die eine Einbindung ermöglichen. Für Unternehmen, aber auch für Gemeinden sowie Städte kann das bedeuten, neue Wege einzuschlagen und sich von der Kreativität der anderen überraschen zu lassen.

© Chiara de Eccher

Die Mobilitätswende braucht uns alle

Verkehr verursacht in der EU rund 30 % der gesamten Treibhausgas-Emissionen und ist der Sektor, dessen Emissionen immer noch steigen. Nachhaltige Mobilität muss die komfortable und sichere Wahl sein, die Anforderungen, um das zu erreichen, sind vielfältig und unterscheiden sich nicht nur zwischen Geschlechtern. Es braucht entsprechende Rahmenbedingungen, um das volle Potenzial zu nutzen und die Klimaziele zu erreichen.

Mobilität ist nicht nur Gemeingut. Mobilität ist auch Gewohnheit. Eine Veränderung unserer persönlichen Mobilitätsmuster ist meist mit einem neuen Lebensabschnitt, wie etwa einem neuen Job oder Wohnort, verbunden. Bieten ein Unternehmen oder eine Stadt Mobilitätslösungen an, die den Ansprüchen ihrer Beschäftigten oder Einwohnenden entsprechen, so kann der Umstieg auf nachhaltige Mobilitätsangebote erleichtert und attraktiviert werden. Gleichzeitig können dadurch auch neue Zielgruppen angesprochen werden.

Dafür ist es wichtig, die Blickwinkel diverser Seiten miteinzubeziehen: nicht nur die diversen Perspektiven von Nutzerinnen und Nutzern, sondern auch andere Sichtweisen außerhalb des eigenen Experten-Bereichs.

Gemeinsam ans Ziel

In der gemeinsamen Bewegung Community Creates Mobility haben sich Pionierinnen und Pioniere der Mobilität seit dem Frühjahr 2019 mit Partnern wie den Österreichischen Bundesbahnen vereint, um Impulse für neue Mobilitätskonzepte zu positionieren. Ein offenes Netzwerk- und Innovationsökosystem mit dem Ziel, die Mobilität der Zukunft gesamtheitlich neu zu denken und zu gestalten. Mobilität wird dabei als Gemeingut betrachtet, das ständig gestaltet werden will – für alle und mit allen. Gemeinsam soll ein gesamtheitliches Verständnis von einer wünschenswerten Zukunft der Mobilität erlangt werden. Die Community fasst mittlerweile mehr als 500 Organisationen aus Industrie und Start-ups, öffentlichem Sektor, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und viele weitere engagierte Mobilitätsdenkerinnen und -denker aus dem DACH-Bereich.

Zentrale Bestandteile der Tätigkeitsfelder sind einerseits sogenannte Mobility Learning Journeys, bei denen zu konkreten aktuellen Themenstellungen der Mobilität Verständnis für die jeweiligen Perspektiven geschaffen werden soll. Im Fokus hierbei stehen das Kennenlernen der diversen Sichtweisen, Meinungen sowie Erfahrungen mittels eines offenen, wertschätzenden und unbürokratischen Austauschs als auch die Ideenfindung, ver- stärkte Zusammenarbeit, Finden von Schnittmengen und Diskussionen auf Augenhöhe.

Ein Manifest als gemeinsame Basis

Ein weiterer essenzieller Teil der Community ist das Mobility-Manifest. Dieses wurde in einem kollaborativen Ansatz gemeinsam erarbeitet und stellt eine gemeinsame Richtung aller Stakeholder dar. Im Vordergrund steht dabei der Ansatz, Mobilität für unsere Zukunft gesamtheitlich und in gesellschaftlicher Verantwortung weiterentwickeln zu wollen.

Alles in allem geht es um den Common Sense zur Zukunft der Mobilität und das Gestalten eines wünschenswerten Zukunftsbildes der Mobilität, das angestrebt werden soll. Mit dem Manifest soll dabei eine Basis geschaffen werden, damit etablierte Organisationen, Start-ups, öffentliche Unternehmen, die Wissenschaft wie auch zivilgesellschaftliche Gruppen und Bürgerinnen und Bürger zusammenarbeiten können, um Mobilität als Gemeingut allen bestmöglich zugänglich zu machen. Dies bedeutet, dass Mobilität ganzheitlich verstanden wird und unterschiedliche Mobilitätsformen wie Zufußgehen oder Datenmobilität umfasst.

Das Ziel ist, eine gesellschaftliche Bewegung mit ausreichend Momentum zu schaffen, um eine öffentliche Debatte anzustoßen und offene Fragen aufzuzeigen. Besonders wichtig ist dabei im Sinne des Klimaschutzes die Kostentragung durch Verursacher/-innen – im Zusammenhang mit Mobilität – damit keine Abwälzung auf die Allgemeinheit mehr geschieht (Verursacherprinzip). Einen ebenfalls zentralen Punkt stellt ein Umdenken von Mobilität als reines Wettbewerbsszenario hin zu einer Mobilitätsideologie im Sinne von Mobilität als Gemeingut dar.

Gemeinsam wurden zentrale Punkte für eine wünschenswerte Zukunft in einem Dokument festgehalten, zusammengefasst und kontinuierlich daran weitergearbeitet. Das Mobility-Manifest umfasst bislang fünf Themenbereiche, die es ermöglichen sollen, aus einer neuen Perspektive über Mobilität nachzudenken und die Zukunft zu gestalten. Mit dem Grundprinzip, dass Mobilität ein gesellschaftlicher Auftrag für die Allgemeinheit ist, ergeben sich fünf entscheidende Bereiche: Physischer Raum & Infrastruktur, Fokus auf Bedürfnisse, Kosten & Notwendigkeit, Nachhaltigkeit & Zukunftsschutz und Mobilitätsökosystem.

Demokratisierung von Innovationsprozessen

Gleichzeitig hat Community Creates Mobility an das europäische Forschungsprojekt RiConfigure angedockt. Dieses befasst sich mit der Involvierung von zivilgesellschaftlichen Akteurinnen und Akteuren in Innovationsprozesse und versteht das als eine Demokratisierung von Innovation. Diese Perspektive ermöglicht es, einen differenzierten Blick auf die Beteiligten zu bekommen und blinde Flecken zu identifizieren.

In der Innovationsforschung wird diese Involvierung von Akteurinnen und Akteure aus Wissenschaft, dem öffentlichen Sektor, der Wirtschaft und auch dem zivilgesellschaftlichen und künstlerischen Bereich als „Quadruple Helix Innovation“, also Innovation der „Vierfachhelix“, verstanden. In der Mobilitätsinnovation wird und wurde wenig Augenmerk auf die „vierte Helix“, also jene Personengruppen, Vereine und Interessierte, die sich nicht auf- grund von institutionellen oder unternehmerischen Gründen an Innovation beteiligen, sondern die sie verarbeiten und in letzter Folge auch nutzen werden, gelegt.

Fünf essenzielle Erkenntnisse

Durch die Zusammenarbeit und das Anknüpfen an europäische Projektpartner/-innen konnten Erkenntnisse darüber, was es braucht, um solche Innovationsprozesse zu gestalten, weiter ausformuliert werden.

Der Weg ist das Ziel: Gemeinsam die Mobilität der Zukunft zu gestalten, ist ein andauernder Aushandlungsprozess, bei dem Durchhaltevermögen gefragt ist. Vor allem beim Gestalten ist es ein Marathon und kein Sprint.

Ein sicherer Anker: Von Beginn an waren bei Community Creates Mobility die Österreichischen Bundesbahnen und die dortige Verankerung eine große Unterstützung. Dies war vor allem aufgrund der Herausforderung durch verschiedene Arbeitsge-schwindigkeiten und -stile der Vertreter und Vertreterinnen aus unterschiedlichen Institutionen und Organisationen sehr nützlich.

Freiräume schaffen und nutzen: Die Innovation liegt vor allem in der Freiheit der Formate, dem Ausprobieren und dem Zusammenbringen von unterschiedlichen Perspektiven und Blickwinkeln auf die Mobilität. Dabei zählen insbesondere die flexible Planung und rasches Reagieren auf aktuelle Themen und konkrete Fragestellungen als Erfolgsfaktor.

Türen offen halten: Offene Ökosysteme suchen laufend aktiv nach neuen Akteur/-innen. Der bewusste Blick und Einbezug von auch kleineren und teils weniger bekannten Akteuren kann dabei helfen, die Mobilität der Zukunft für alle zu gestalten.

Was wirklich zählt: Die Frage nach dem „Warum“ ist eine essenzielle. Der Fokus von Community Creates Mobility liegt auf Nachhaltigkeit sowie Fairness, Chancengleichheit und Gleichberechtigung. Themen, die oft aufgrund von Businessplänen und -parametern nicht mehr gedacht werden. Als Basis sind es immerhin wir Menschen, die Mobilitätsbedürfnisse haben. Und nicht Excel-Tabellen.

Dies ist eine Reise in die Zukunft, die noch lange nicht zu Ende ist. Für eine wünschenswerte Zukunft der Mobilität braucht es Pionierinnen und Pioniere, es braucht Mut und es braucht Durchhaltevermögen. Für und von uns allen.

Claudia Falkinger

ist Mitgründerin der inklusiven Mobilitätsberatung „Punkt vor Strich“ sowie des „Women in Mobility“-Hubs in Österreich und Hochschul-Lektorin zu den Themen Innovation, Entrepreneurship und User Experience.

Anna Gerhardus

ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Höhere Studien in Wien mit einem Fokus auf partizipative Innovationsprozesse im Bereich Mobilität, vor allem in interdisziplinären europäischen Forschungsprojekten.

Autorinnen

Claudia Falkinger & Anna Gerhardus