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Flexibilität für das Stromsystem - Virtuelles Kraftwerk für erneuerbare Energien

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Im Gespräch mit Paul Kreutzkamp, CEO Next Kraftwerke Benelux

Paul Kreutzkamp | Porträt: © Next Kraftwerke

Paul Kreutzkamp | Porträt: © Next Kraftwerke

Herr Kreutzkamp, Ihr Claim lautet „Das virtuelle Kraftwerk für eine neue Energiewelt“. Wie sieht diese neue Energiewelt aus der Perspektive von Next Kraftwerke aus?

Wir sind überzeugt, dass eine sichere Stromversorgung möglich ist, die aus 100% erneuerbaren Energien besteht. Next Kraftwerke betreibt bereits seit 14 Jahren ein virtuelles Kraftwerk, das mittlerweile ein riesiges Team dezentraler Erneuerbare-Energien-Anlagen koordiniert und steuert. Damit beweisen wir tagtäglich, dass ein digitales, dezentrales und grünes Energiesystem funktioniert. Und wir verfolgen weiter diesen Weg: Wir vergrößern unseren Pool an Stromerzeugern, -verbrauchern und -speichern und sorgen für ein intelligentes Zusammenspiel dieser Anlagen. Auf diese Weise schaffen wir es, die erzeugte und verbrauchte Energie unserer Kunden profitabel an den Märkten zu handeln und an der Stabilität des Stromsystems mitzuwirken.

Wie unterscheidet sich Ihr Unternehmen von anderen Akteuren in der Energiebranche bzw. Betreibern virtueller Kraftwerke?

Next Kraftwerke schöpft aus einem großen Erfahrungsschatz bei der Aggregierung, Steuerung und Vermarktung von EE-Anlagen. Wir zählten zu den Ersten, die Regelenergie aus vernetzten Anlagen an einen Übertragungsnetzbetreiber geliefert haben. Wir haben frühzeitig die Chancen erneuerbarer Energien auch für den Regelenergiemarkt erkannt und Pionierarbeit geleistet. Wir sind darin spezialisiert, Flexibilität für das Stromsystem bereitzustellen.

Welche Technologien werden zur Realisierung Ihres virtuellen Kraftwerks eingesetzt und wie werden diese miteinander vernetzt?

Die wichtigsten Kernelemente des virtuellen Kraftwerks sind das zentrale Leitsystem und die Fernsteuereinheit Next Box. Über eine bidirektionale, abgesicherte Mobilfunkverbindung verbindet die Next Box die dezentralen Anlagen mit unserem Leitsystem. Über die Next Box werden die Anlagen gesteuert und auch Daten ausgetauscht. So erhält das Leitsystem unter anderem Informationen über die Auslastung der vernetzen Anlagen und ihre Einspeiseleistung.

Wie nutzen Sie innovative Technologien, z.B. künstliche Intelligenz, in Ihrem Unternehmen?

Bei der Solarprognose nutzen wir beispielweise Machine Learning. PV zählt zu den volatilen Stomproduzenten, der Stromanteil kann je nach Wetterlage stark variieren. Bei der PV-Prognose verarbeiten wir Wetterdaten, Anlagenfahrpläne, Verbrauchs- und Einspeisedaten, um eine präzise Vorhersage über die Stromeinspeisung treffen zu können. Beim Machine Learning lernt der Computer, Muster in Daten zu erkennen und Entwicklungen vor- herzusagen. Die Muster helfen dabei, Abweichungen zu erkennen und Prognosen anzupassen. Je näher wir mit unseren Prognosen an der Realität und je kurzfristiger wir in der Lage sind, richtige Schlüsse aus den Daten zu ziehen, desto besser können wir die Preise abschätzen und marktgerechte Gebote liefern.

Welche Rolle spielen Big Data in Ihrem Geschäftsfeld?

Das möchte ich mit einem einfachen Blick auf zwei Zahlen in Deutschland illustrieren: Im Jahr 1990 gab es in Deutschland etwa 800 Erzeugungsanlagen, das heißt größere Kraftwerke, durch deren Steuerung das Stromsystem sicher betrieben wurde. In 2022 waren es allein im Bereich Photovoltaik 2,6 Mio. Anlagen, und die Sicherheit des Stromsystems basiert auf dem komplexen Zusammenspiel dieser und vieler anderer Anlagen. Denn mit dem Zubau an EE-Anlagen ist die Gesamtzahl stark angestiegen. In unserem virtuellen Kraftwerk werden etliche Millionen von Datenpunkten verarbeitet. So werden beispielsweise die Livedaten von Anlagen sekündlich abgerufen. Ohne eine schnelle Generierung, Auswertung und Übertragung dieser und anderer Daten wäre unser Geschäft gar nicht möglich. Eine intelligente, aussagefähige und zuverlässige Verknüpfung von Daten ist für die Steuerung der Anlagen, für unser Handelsgeschäft – sei es am Regelenergiemarkt oder dem Spotmarkt – enorm wichtig.

Sie haben in der Vergangenheit als Kooperationspartner gemeinsam mit TransnetBW, Jedlix und Netze BW in einem Feldtest das Potenzial von Elektrofahrzeugen für die Bereitstellung von Regelreserve analysiert. Vor Kurzem haben Honda und Next Kraftwerke eine E-Auto-Flotte für Primärregelleistung in Amprions Netzgebiet präqualifiziert. Welche Erkenntnisse und Aussagen hat Ihnen dieses Pilotprojekt für die weitere Netzintegration von Elektrofahrzeugen mittels V2G-Technologie geliefert?

Die Projekte – auch das Projekt mit Honda – haben wir durchweg erfolgreich abgeschlossen. Sie haben gezeigt, dass es technisch möglich ist, aus einer Fahrzeugflotte Primär- sowie Sekundärregelleistung bereitzustellen und damit zur Stabilität des Stromnetzes beizutragen. Das heißt, die Technologie funktioniert: Jedes einzelne Fahrzeug der Honda-E-Auto-Flotte konnte den Lade- und Entladebefehl umsetzen. Dabei wurden auch die individuellen Ladezustandspräferenzen der E-Fahrer berücksichtigt.

Das bidirektionale Laden ist ja durchaus noch in den Kinderschuhen ... Was ist aus Ihrer Sicht auf regulatorischer, marktwirtschaftlicher und technologischer Seite noch notwendig, damit es nicht bei Pilotprojekten im Bereich der Netzstabilisierung durch Elektrovehikel bleibt?

So gesehen ist auch das smarte unidirektionale Laden noch in den Kinderschuhen. Ein Auto, das basierend auf Strompreissignalen lädt, ist die absolute Ausnahme. Im Augenblick heißt es: Stecker rein und laden, egal, ob der Strom gerade knapp ist.

Es muss zunächst die Möglichkeit geschaffen werden, dass an den Ladepunkten, die oft in Privathaushalten liegen, viertelstündliche abrechenbare Messdaten verfügbar sind – Stichwort Smart Meter. Auch die Netznutzungsentgelte müssen angefasst werden. Der Strom, der bezogen und zurückgespeist wird, darf nicht durch Steuern, Abgaben und Umlagen belastet werden – insbesondere, wenn dies zur Netzstabilisierung passiert. Außerdem ist die Verfügbarkeit bidirektionaler Wallboxen aktuell noch eingeschränkt und es mangelt an Fahrzeugen, die in der Lage sind, bidirektionales Laden überhaupt umzusetzen. Um ein wirtschaftliches Geschäftsmodell aufsetzen zu können, wird eine gewisse Anzahl an Fahrzeugen benötigt. Ich würde mir auch wünschen, dass wir Möglichkeiten schaffen, dass Flexibilitätsdienstleister wie Next Kraftwerke flexible Assets wie E-Autos, aber auch zum Beispiel Wärmepumpen, mit Submetern aus dem Stromlieferantenvertrag herauslösen können, sodass deren Flexibilität unabhängig vermarktet werden kann. Dann könnte die Flexibilität sogar unabhängig von Wallbox oder Ladesäule quasi überall genutzt werden, und alles ließe sich über das Auto selber steuern.

Welche Rolle/Potenzial schreiben Sie der Netzintegration von Elektromobilität langfristig zu?

Ganz einfach: Haben wir viel Wind und Sonne, so lädt die Batterie. Liefern PV- oder Windkraftanlagen weniger Strom – z.B. aufgrund von Wetterbedingungen – speisen E-Fahrzeuge wieder ins Stromnetz zurück. Wären heute alle Autos Elektroautos, dann hätten wir einen dezentralen Stromspeicher von etwa 2.000 bis 3.000 GWh. Und Pkws sind mehr als 95 % der Zeit geparkt. Selbst in der Rushhour stehen mehr als 80 % der Autos am Straßenrand. Sie stünden daher prinzipiell – natürlich mit Einschränkungen – als Stromspeicher zur Verfügung.

Allerdings können Elektroautos keine saisonalen Schwankungen der erneuerbaren Energien ausgleichen. Dafür brauchen wir andere Speicher und Flexibilitäten. Auch wird der zusätzliche Strombezug von Elektroautos Kosten im Stromnetz verursachen. Aber: Als Kurzfrist-Stromspeicher werden Elektroautos eine wichtige Rolle spielen. Und mit zunehmender Elektrifizierung aller Lebensbereiche wird die Bedeutung von virtuellen Kraftwerken weiter zunehmen.

Paul Kreutzkamp

ist CEO von Next Kraftwerke Benelux. 2014 gründete er die Niederlassung Next Kraftwerke Belgium zusammen mit Jan de Decker. Er ist spezialisiert auf die Netz- und Marktintegration von erneuerbaren Energien und anderen dezentralen Erzeugungsanlagen. Bis 2014 war er Senior Renewable Energy Expert bei 3E und beriet öffentliche und private Kunden unter anderem im Bereich erneuerbarer Energie. Davor leitete er bei der Deutschen Energieagentur in Berlin das Team „Windenergie und Netzintegration erneuerbarer Energien". Paul Kreutzkamp ist Diplom-Physiker.