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„Kernforschung“ im Metaverse

Kunst und Technologie zusammengedacht

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Was haben transparente Pixel, gedankenlesende Pferde und der Buchstabe π gemeinsam? Sie werden nicht nur mit dem gleichen Laut ausgesprochen, sondern lassen sich alle in der litauischen „Künstlerrepublik Užupis“ verorten. Eine gedankliche Reise mit deren Münchner Botschafter Max Haarich führt tief ins Metaverse und hinterlässt Pinselstriche auf der „Blackbox künstliche Intelligenz“.

Hätte man anstelle des Automobils in Pferde investiert, dann könnten diese vielleicht heute fliegen – NFT-Kunst von Max Haarich. © Max Haarich

Hätte man anstelle des Automobils in Pferde investiert, dann könnten diese vielleicht heute fliegen – NFT-Kunst von Max Haarich. © Max Haarich

Als Max Haarich 2014 zum ersten Mal in die „Republik Užupis“ reiste, hätte er nicht im Traum gedacht, dass er drei Jahre später einmal deren deutsche „Botschaft“ in München gründen würde. Der Stadtteil Užupis, am Rande der Altstadt von Vilnius gelegen, ist seit den 1990er-Jahren Treffpunkt litauischer Künstler:innen und Intellektueller. Diese riefen am 1. April 1998 die „freie Republik Užupis“ aus. Erster Präsident war und ist Roman Lileikes – der Legende nach wachte dieser eines Morgens auf und fühlte sich plötzlich als Präsident. Užupis ist im Selbstverständnis eine künstlerisch-zivilgesellschaftliche, unpolitische Bewegung. Deren Verfassung nahm der Münchner in seine Heimatstadt mit; Verfassungsartikel wie „Du hast das Recht, keine Rechte zu haben“ erschienen ihm zunächst paradox.

Max Haarich © Eolo Perfido Studio

Max Haarich © Eolo Perfido Studio

Heute sieht Max Haarich die Verfassung sogar als besonders effektiv an, weil sie eben nicht in die Exekutive überführbar ist: Handlungen mit negativen Folgen ließen sich somit nicht im Namen der Verfassung rechtfertigen; der Mensch ist für sich selbst verantwortlich. Ein Spirit, aus dem sich auch eine klare Ethik im Umgang mit Mensch, Tier und Umwelt ableitet, mit der Maxime, aufeinander achtzugeben, anstatt blind dem Gesetz zu folgen. Und ein Spirit, der Max Haarich seit dem Besuch nicht mehr loslässt: Nach dem Studium der Kommunikationswissenschaften an der RTWH Aachen und einer Tätigkeit im Innovation-Startup-Center „UnternehmerTUM“ fokussierte er die künstlerische Reflexion technologischer Entwicklungen und ihrer gesellschaftlichen Folgen. Mit der Botschaftervergabe von Užupis eröffnete sich die Möglichkeit, Kunst und Technologie in eine Symbiose zu bringen und parallel auch immer gesellschaftliche Synapsen zu bilden: Die Münchner Botschaft der Künstlerrepublik ist Max Haarich zufolge „der letzte dreckige Meter des Forschungstransfers vom Elfenbeinturm zur Straße, einen Meter davor stehen wir und fangen die Leute ab“.

Die NFT-Installation am Münchner Lenbachplatz funktionierte nur aus der richtigen Perspektive. © Max Haarich

Die NFT-Installation am Münchner Lenbachplatz funktionierte nur aus der richtigen Perspektive. © Max Haarich

Ein Pferd, das Gedanken liest

Mit dem Scharren seiner Hufe errät der smarte Hans die Zahl, an welche die vor der Installation stehende Person gerade denkt. © Max Haarich

Mit dem Scharren seiner Hufe errät der smarte Hans die Zahl, an welche die vor der Installation stehende Person gerade denkt. © Max Haarich

Ob nun in Kooperation mit der Republik oder in Eigenregie: Die Projekte des Künstlers simulieren auf innovative Weise gesellschaftliche Implikationen des technologischen Wandels. So entstand kürzlich der erste Prototyp eines gedankenlesenden Pferdes: Smart Hans, angelehnt an den „klugen Hans“, ein um die Jahrhundertwende lebendes Pferd, das angeblich Gedanken lesen konnte, indem es die jeweilige Zahl erriet, an die Menschen dachten. Im Falle von Smart Hans leistet eine Künstliche Intelligenz dieses Hexenwerk. Bestand beim klugen Hans die Blackbox darin, dass unklar war, aufgrund welcher Informationen das Tier die Zahlen ermitteln konnte, so illustriert Smart Hans die Unmöglichkeit zu bestimmen, was genau ein künstliches neuronales Netz eigentlich lernt und auf welchen Daten die Entscheidungen fußen. Gleichzeitig werden so Bedenken bezüglich des Missbrauchs künstlicher Intelligenz sichtbar.

Doch es wäre nicht die Münchner Botschaft, würden diese Gedanken nicht im Sinne von Užupis auch weitergedacht. Angeführt vom Buchstaben π ließ Max Haarich einen Münchner Artikel in der Verfassung der Künstlerrepublik verankern: „Any artificial intelligence has the right to believe in a good will of humanity.“

Kunst oder Technologie? Beides! Aus einem transparenten Pixel wird ein virtueller Sonnenaufgang. © Max Haarich

Kunst oder Technologie? Beides! Aus einem transparenten Pixel wird ein virtueller Sonnenaufgang. © Max Haarich

Schwerkraft im Metaverse?

Kaufen lässt sich das Stück Münchner Realität zwar nicht, dafür aber als NFT ausleihen. © Max Haarich

Kaufen lässt sich das Stück Münchner Realität zwar nicht, dafür aber als NFT ausleihen. © Max Haarich

Sein neuestes Projekt, eine Plakatinstallation von fünf mal fünf Metern am Lenbachplatz in München, trug den Titel „Good-Buy, Reality!“ und bot einen Teil der Münchner Realität zum Verkauf als Non-Fungible-Token (NFT) an. Das NFT auf dem Plakat fügte sich jedoch nur innerhalb eines ganz bestimmten Blickwinkels in die analoge Umgebung ein. Eine künstlich geschaffene Realität, die in der Abhängigkeit von der analogen Realität ihren eigenen Verkauf in Gefahr bringt – die Kunstaktion führte vor Augen, wie angesichts der um sich greifenden Kommerzialisierung durch NFTs die persönliche Einflussnahme dennoch unterschätzt wird. Mit „Good-Buy, Reality!“ löste sich die gewohnte Trennung von analoger und virtueller Realität weiter auf.

Bis Szenarien wie im Film „Matrix“ Wirklichkeit werden, ist es allerdings noch weit hin: Für Max Haarich ist das Metaverse bisher pures Entertainment und technisch recht unspektakulär. Die gegenwärtige Entwicklung sei vor allem von Unternehmen geprägt, die im Web 3.0 einen neuen Absatzmarkt für NFTs sähen. Denn „bisher wird vor allem nur die physische Realität etwas bunter nachgebaut“, wie der Künstler bemerkt. Deutlich wird dies am Beispiel physikalischer Gesetze, die mit ins Metaverse transferiert werden – doch wer sagt, dass Gebäude und Straßen der Schwerkraft ausgesetzt sein müssen? Denn am Metaverse fasziniert Max Haarich vor allem die dahinterliegende Idee des Lucid Dreaming: „Eine Welt, die du ad hoc nach deinen Wünschen steuern und erfahren kannst, der Wachtraum – das ist die Idee, die wir jetzt mit Technologie, mit Codes umsetzen wollen.“

Potenziale ergäben sich in der neuen virtuellen Interaktivität auch für Stadt- und Mobilitätsplanung: Planer:innen könnten etwa Modelle und Konzepte völlig neu im Hinblick auf ihre Auswirkungen testen, indem diese im Metaverse simuliert werden.

Was nach dem Pixel kommt ...

Investition in etwas an sich Bedeutungsloses. Klassische Ökonomie oder philosophische Beschäftigung? © Max Haarich

Investition in etwas an sich Bedeutungsloses. Klassische Ökonomie oder philosophische Beschäftigung? © Max Haarich

Damit das Web 3.0 allerdings nicht zum Juggernaut der Tech-Giganten wird, sei „Dezentralität der Kern von allem“. Gerade Kryptowährungen, die über die dezentralisierte Blockchain laufen, zeigten das Potenzial, wie schon jetzt abseits von verstaubten Institutionen neue demokratische Prozesse in Bewegung kämen. Im Spirit Užupis‘ gedacht lassen sich hier auch völlig neue Ansätze beispielsweise im Kampf gegen die Klimakrise schöpfen. Da liegt die Metapher von Užupis als „analoges Metaverse“ nahe; eine Doppelbelichtung der Realität.

Und es wird noch philosophischer: Mit dem Projekt eines einzelnen transparenten Pixels betreibt Max Haarich „Kernforschung“ im Metaverse: Der Künstler spielte einen einzelnen transparenten Pixel auf einen Röhrenfernseher, filmte den Bildschirm mit einer Videokamera und nahm davon wiederum ein Standbild auf. Das Ergebnis sieht einem Sonnenaufgang ähnlich. Zugleich zeigt es, dass ein Pixel an sich nicht darstellbar ist und die Technologie für Verzerrung sorgt. Es wirft aber auch Fragen über die Substanz und Materie des Metaverse auf: die Pixel. Während unsere Realität unendlich komplex ist, so landet man im Metaverse bei genauem Zoomen irgendwann vor einem einzelnen Pixel – Fragen, mit denen sich Max Haarich auch in Zukunft weiter beschäftigen will. Denn die Reise ins Metaverse hat gerade erst begonnen.

Autor

Maximilian Hossner