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Die Umsiedlung einer gesamten Stadt

SCALE – Masterplan mit Weitsicht

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Der von White Arkitekter und Ghilardi + Hellsten Arkitekter gemeinsam entwickelte Masterplan für die schwedische Stadt Kiruna zeigt eindrücklich, wie die Herausforderung ihrer Umsiedlung gemeistert, eine resiliente und weitsichtige Stadtentwicklung gelingen und eine gute Zukunft für die Stadt gewährleistet werden kann. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in einem perspektivischen Planungsprozess: 2012 begannen die Planungen, die letzte Phase soll 2100 abgeschlossen sein.

Stadtansicht © White Arkitekter

Stadtansicht © White Arkitekter

Die schwedische Stadt Kiruna steht vor einer großen städtebaulichen Aufgabe. Sie liegt über der größten unterirdischen Eisenerzmine der Welt – und muss aufgrund Expansionsplänen für die Mine umgesiedelt werden. 2012 wurde zum Vorhaben der Verlegung der Stadt um ca. drei Kilometer Richtung Osten ein internationaler Architekturwettbewerb ausgelobt, den schließlich das Team von White Arkitekter, Ghilardi + Hellsten Arkitekter, Spacescape, Vectura Consulting und Evidens BLW mit einem gemeinsamen Masterplan für sich entscheiden konnte.

Kiruna City Plan: Umsiedlung als Prozess

Im 19. Jahrhundert wurde Kiruna zusammen mit einem Bergwerk gegründet. Während der Eisenerzabbau von großer ökonomischer und sozialer Relevanz für Kiruna ist, entstand andererseits mit dem fortschreitenden Abbau jedoch auch ein gravierendes Problem: Mit zunehmendem Absinken des Bodens und der geplanten Erweiterung der Mine wird die darüber liegende Fläche instabil und somit unbewohnbar werden. Auf der Suche nach einer langfristigen Strategie beschloss die schwedische Regierung, die Stadt umzusiedeln.

Umsiedlungen sind eine höchst komplexe, herausfordernde Maßnahme und gehen mit einer sozialen Verantwortung einher – im Fall von Kiruna bedeutet es, mit 20.000 Menschen und einer Fläche von 120 ha umzugehen. Der Masterplan, den White Arkitekter und Ghilardi + Hellsten Arkitekter entwickelten, zielt insbesondere auf eine abwechslungsreiche und lebenswerte Stadt ab, die ihre Identität aus ihrem unaufgeregten Geist, ihrer natürlichen Umgebung und ihrer Vergangenheit bezieht. Der Plan sieht u.a. eine dichtere Besiedlung mit urbanen Treffpunkten vor, sowie eine systematische Wiederverwendung des alten Kirunas und eine enge, sinnvolle Beziehung zur Natur und zur subarktischen Umgebung. Kiruna 4-ever, wie die Architekt:innen das Projekt nennen, konzentriert sich auf einen strategischen Umsiedlungsprozess, der bis zum Jahr 2100 die Stadt Schritt für Schritt transformieren soll. 2022 wurde nun die erste Phase fertiggestellt. Insgesamt konnten 39 historische Gebäude erhalten und mithilfe von Lkws und Kränen von der alten in die neue Innenstadt bewegt werden. Nun sind die Planungen von White Arkitekter und Ghilardi + Hellsten Arkitekter weitestgehend abgeschlossen, die weiteren Phasen wird die Kommune eigenständig umsetzen.

Für die Umsiedlung der schwedischen Stadt Kiruna sieht der von White Arkitekter und Ghilardi + Hellsten Arkitekter gemeinsam entwickelte Masterplan einen in mehrere Phasen gegliederten Planungsprozess vor: 2022 wurde die neue Innenstadt eingeweiht und damit ein wichtiger Meilenstein erreicht. © White Arkitekter

Für die Umsiedlung der schwedischen Stadt Kiruna sieht der von White Arkitekter und Ghilardi + Hellsten Arkitekter gemeinsam entwickelte Masterplan einen in mehrere Phasen gegliederten Planungsprozess vor: 2022 wurde die neue Innenstadt eingeweiht und damit ein wichtiger Meilenstein erreicht. © White Arkitekter

Zukunftsgewandtes Mobilitätskonzept

Eine Planung, die so weit in die Zukunft reicht, wirft die Frage auf, wie sich Stadt und Mobilität perspektivisch verändern werden. Nach der lange währenden automobilen Dominanz und Funktionstrennung weiß man heute, dass es vor allem Städte mit dichter und gemischter Nutzung sind, die eine soziale, ökologische und wirtschaftliche Nachhaltigkeit erzeugen. Zudem braucht es laut White Arkitekter die Koppelung verschiedener Verkehrsträger, Aktivitäten und Einwohner:innen – sprich, alle Menschen sollen einander trotz ihrer individuellen Mobilitätswahl im Alltag begegnen. Zudem gehen die Architekt:innen davon aus, dass im urbanen Raum der Zugverkehr weiter wachsen, schneller und effizienter sein wird. Daher platzieren sie den neuen Bahnhof bewusst zentral und gut erreichbar im Herzen der neuen Stadt. Für eine verkehrsmittelübergreifende Vernetzung sorgt darüber hinaus ein neuer zentral gelegener Knotenpunkt, der sowohl mit dem Zug und öffentlichen Verkehrsmitteln als auch via Auto oder Roller und ebenso zu Fuß oder mit dem Fahrrad erreicht werden kann. Ergänzend sorgt eine Seilbahn für eine effiziente Verbindung zwischen dem neuen Kiruna und dem bestehenden Bergwerk. „Unser Ansatz ist, dass der Personenverkehr auf schnelle, häufige und klimafreundliche öffentliche Verkehrsmittel und der Güterverkehr auf die Schiene verlagert werden kann. Um dies zu erreichen, ist ein attraktives öffentliches Verkehrsnetz erforderlich“, bekräftigt White Arkitekter das Mobilitätskonzept.

Einsatz von digitalen Planungswerkzeugen

White Arkitekter nutzt Computational Design als ein essenzielles Planungswerkzeug. Im Zuge der Planungen für Kiruna kam z.B. Micro-Climate-Modelling zur Anwendung, um für eine langfristige Planung die Umgebung detailliert analysieren und das Mikroklima auf lange Sicht simulieren zu können. Zur stetigen Verbesserung seiner architektonischen sowie städtebaulichen Gestaltungen entwickle sich White Arkitekter hinsichtlich des Einsatzes von Computational Design kontinuierlich weiter, betont Jonas Runberger, der die Abteilung Dsearch, Digital Matter leitet: „Computational Design beschleunigt den Wandel zu einer nachhaltigeren Gesellschaft: Die Verfahren ermöglichen eine innovativere Architektur sowie, die Auswirkungen verschiedener ressourceneffizienter Lösungen zu messen und zu quantifizieren und die richtigen Materialien an der richtigen Stelle einzusetzen. Sie helfen uns, die Klimaauswirkungen der gebauten Umwelt zu minimieren.“

Pionierbeispiel für die Stadt der Zukunft

Im neuen Kiruna sollen die Bewohner:innen künftig in einer sicheren und lebenswerten Umgebung zu Hause sein. Mit einer klimabewussten Grundhaltung, einer interdisziplinären Betrachtung und der Verwendung von digitalen Werkzeugen unter Berücksichtigung einer sich stets verändernden (Um-)Welt und der langfristigen Entwicklung von Mobilität wollen White Arkitekter und Ghilardi + Hellsten Arkitekter eine resiliente und zukunftsgewandte Stadt realisieren.

Autorin

Marie Schwemin