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VEHICLE-TO-GRID

WENN DAS ELEKTROAUTO ZUM STROMANBIETER WIRD

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Dass Elektroautos schon jetzt ihren Anteil an der Transformation des Verkehrssektors leisten, bezweifeln wohl die wenigsten. Einige Unternehmenspartnerschaften spinnen diesen Gedanken nun weiter und stellen die Weichen voll auf Sektorkopplung. Das eigene Fahrzeug nimmt hierbei eine ungewohnte Rolle ein.

VW-Ladestation Elli strebt u.a. mit Hilfe der VG2-Technologie an, Elektromobilität zu optimierten; das Ziel: stromsparende, nachhaltigere Energiegewinnung. © Volkswagen AG

VW-Ladestation Elli strebt u.a. mit Hilfe der VG2-Technologie an, Elektromobilität zu optimierten; das Ziel: stromsparende, nachhaltigere Energiegewinnung. © Volkswagen AG

Noch vor wenigen Jahren wäre es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einem Affront gleichgekommen, das Autofahren – auch das elektrische – als durchweg nachhaltige Fortbewegungsweise zu bezeichnen. Über Benziner muss an dieser Stelle nicht gesprochen werden, und auch elektrisch betriebene Fahrzeuge, die zumindest bei der Fahrt kein CO2 ausstießen, bewegten sich in vollständiger Abhängigkeit vom Strommix des jeweiligen Staates, in dem sie verkehrten; und dieser wurde in aller Regel nur zu einem verhältnismäßig kleinen Teil aus erneuerbaren Energiequellen gewonnen. Auch das Argument des Energieverlusts wurde in der E-Debatte zum Dauergast, primär aus dem Grund, dass etwa Windräder oder Solaranlagen häufig nicht in den Gebieten errichtet wurden und werden, in denen der Mobilitätsdruck besonders hoch ist, sondern eher in der Peripherie. In naher Zukunft könnten sich diese beiden Punkte nun erledigt haben: Bosch, Nissan, Shell und VW-Tochter Elli sind nur einige der zahlreichen Unternehmen, die in derzeit unter Hochdruck Konzepte entwickeln, mithilfe derer das Elektroauto von beinahe allen ökologisch relevanten Anklagepunkten freigesprochen werden soll. Die Schlüssel hierzu: ein modifiziertes Ladekabel und ein intelligentes System.

Derzeit entwickelt VW-Tochterfirma Elli gemeinsam mit EON-Tochterfirma Mitnetz ein Pilotprojekt in puncto Smart-Charging – ebenfalls inklusive V2G-Technologie; das Ziel: netzdienliches Laden. © Elli

Derzeit entwickelt VW-Tochterfirma Elli gemeinsam mit EON-Tochterfirma Mitnetz ein Pilotprojekt in puncto Smart-Charging – ebenfalls inklusive V2G-Technologie; das Ziel: netzdienliches Laden. © Elli

Smart Charging, Internet of Energy

i-rEzEPT nutzt die V2G-Technologie, da diese u.a. großes Potenzial in Sachen Stromeinsparung verspricht. © Nissan

i-rEzEPT nutzt die V2G-Technologie, da diese u.a. großes Potenzial in Sachen Stromeinsparung verspricht. © Nissan

Dieses System vollbringt es, per Internetverbindung eine Kommunikation zwischen allen beteiligten Akteuren zu ermöglichen und diese aufeinander abzustimmen – solange das Elektroauto an der Ladestation hängt. In Anlehnung an das Internet of Things, das vereinfacht gesagt die Schnittstelle zwischen Online und Offline darstellt, wird all das, was innerhalb eines smarten Energiesystems geschieht – von Energieproduktion über deren Distribution bis hin zur Konsumption – als Internet of Energy bezeichnet. In Kontext der Elektromobilität geht es hierbei vor allem um einen kontinuierlichen Datenaustausch zwischen Ladeinfrastruktur, Elektroauto und Netzbetreiber. Hierfür kommt ein bidirektionales Ladekabel zum Einsatz, das während des Ladevorgangs einen beidseitigen Strom- und Datenfluss ermöglicht und Energie daher nicht nur in die Autobatterie transportieren kann, sondern auch aus ihr heraus und zurück ins Netz. An die Stelle eines einseitigen Ladevorgangs tritt auf diese Weise ein neuer Kreislauf.

Diese als Vehicle-to-Grid bezeichnete Technologie wurde bereits 2007 erprobt und findet mittlerweile, nachdem der Nissan LEAF im Jahr 2018 als erstes Modell seine Zulassung erhielt, in einigen Elektrofahrzeugen bereits Verwendung. Dabei wird überschüssiger Strom in der Batterie „gelagert“, bis er an anderer Stelle benötigt wird; die Rückspeisung ins Netz wird dem „Prosumenten“, also dem Konsumenten, der gleichzeitig Strom „produziert“, vergütet. Das Fahrzeug fungiert auf diese Weise als eine Art Zwischenspeicher, der das Stromnetz entlasten kann, sollte das Angebot einmal knapp sein.

Effiziente Energienutzung – E-Autos als verteilter Speicher

Neuartige Smart-Charging-Technologien führen dies nun noch einen Schritt weiter, indem der überschüssige Strom nicht zurück ins Netz gespeist wird, sondern nach Möglichkeit gar nicht entsteht, indem intelligente Algorithmen geplante Ladevorgänge mit den vorhandenen Netzkapazitäten abgleichen. So werden die Fahrzeuge nur dann geladen, wenn das Stromangebot hoch ist, also etwa in der Mittagszeit oder bei einer hohen Windstärke. Im weiteren Sinne trägt das Internet of Energy also dazu bei, die Energieeffizienz zu erhöhen, was eine nachhaltige Erzeugung genauso miteinschließt wie einen möglichst verlustarmen Transport, aber auch einen verantwortungsbewussten, sparsamen Verbrauch. Die Energieversorgung soll auf diese Weise verlässlicher und flexibler werden, um den wechselnden Anforderungen gerecht zu werden. All diese unterschiedlichen Parameter – wie Nutzungsverhalten und Energieverfügbarkeit – werden akkurat aufeinander abgestimmt. Das Ziel: Möglichst jede Kilowattstunde verfügbaren Stroms nutzen, bestenfalls nicht weniger und auf keinen Fall mehr, denn aktuell gehen jährlich noch etwa 6.000 GWh erneuerbaren Stroms verloren.

Ebenso integrieren Nissan und Bosch die VG2-Technologie; so auch bei i-rEzEPT, das die intelligente Anbindung von Automobilen ans Stromnetz erforscht und diese optimieren will. © Nissan

Ebenso integrieren Nissan und Bosch die VG2-Technologie; so auch bei i-rEzEPT, das die intelligente Anbindung von Automobilen ans Stromnetz erforscht und diese optimieren will. © Nissan

Dr. Martin Sachenbacher, Experte für Energiespeicherung und Elektromobilität an der Universität Lübeck und Senior Software Engineer bei der LION Smart GmbH, sieht in V2G große Potenziale zur Stromeinsparung: „Technologien zur Zwischenspeicherung des Stroms, wie eben V2G, können hier Abhilfe schaffen.“ Er mahnt aber an, dass dies eine entsprechende Verbreitung von Elektrofahrzeugflotten und bidirektionaler Ladeinfrastruktur voraussetze. Auch wenn es eine Komponente von mehreren sein werde, geht Sachenbacher davon aus, „dass V2G in Zukunft einen signifikanten Beitrag leisten wird, erneuerbaren Strom besser zunutzen.“

Gerade angesichts der gegenwärtigen und laut Expert:innen wohl noch einige Zeit fortbestehenden Energiekrise ist eine effizientere Energienutzung essenziell. Sachenbacher zufolge werde diese den Ausbau erneuerbarer Energien vorantreiben, sorge allerdings auch für ein stärker schwankendes Stromangebot. „Hier bietet V2G das Potenzial, Elektrofahrzeuge als großen, verteilten Batteriespeicher zu nutzen, um das schwankende Stromangebot auszugleichen und damit die Umstellung zu unterstützen“, so Sachenbacher.

Smart vorangehen – Spannende Pilotprojekte

Es mag nicht überraschen, dass die Bandbreite der Unternehmen, die sich mit der neuen Technologie beschäftigen, groß ist. Die Volkswagen-Tochterfirma Elli, quasi das hauseigene Energieunternehmen, entwickelt mit dem regionalen Netzbetreiber Mitnetz, der wiederum zu Eon gehört, in Sachsen ein Pilotprojekt zum Smart Charging, das Verbraucher:innen mithilfe flexibler Preise zum „netzdienlichen Laden“ bringen soll. Das Unternehmen E-Bridge, das die Fahrzeuge mit dem Netz synchronisiert, rundet das Triumvirat ab. So laden Eigentümer:innen nur die Menge Strom nach, die sie tatsächlich verfahren haben, und bekommen diese zu guten Konditionen, sofern sie verbrauchsbewusst laden. Der Netzbetreiber profitiert dadurch, dass er das Fahrzeug nach eigenem Bedarf als Stromspeicher nutzen kann und es im Netz in Zeiten hoher Nachfrage zu weniger Engpässen kommt. Die Ergebnisse des Pilotprojekts werden im Herbst 2022 erwartet.

i-rEzEPT nutzt die V2G-Technologie, da diese u.a. großes Potenzial in Sachen Stromeinsparung verspricht. © Nissan

i-rEzEPT nutzt die V2G-Technologie, da diese u.a. großes Potenzial in Sachen Stromeinsparung verspricht. © Nissan

Bosch und Nissan haben sich mit den Fraunhofer-Instituten IFAM und IAO zusammengeschlossen, um unter dem Namen i-rEzEPT die intelligente Einbindung von Automobilen ins Stromnetz zu erforschen. Im Rahmen des Projekts wurden 13 Eigenheimbesitzer:innen, die über eine Photovoltaik-Anlage verfügen, mit einem Nissan LEAF und einer Ladestation ausgestattet. Das Ziel des Projekts: die Versorgung des Haushalts mit eigens erzeugtem Strom bestmöglich auszuschöpfen, zur Entlastung des öffentlichen Stromnetzes beizutragen und dabei die Betriebskosten des Elektrofahrzeugs zu senken. Unter dem Begriff Vehicle-to-Home ist es neben der Speicherung der Energie im Fahrzeug zudem möglich, diese an den Haushalt abzugeben und Elektrogeräte ohne eine Belastung des Stromnetzes zu betreiben. Die Zukunftsfähigkeit der bidirektionalen Ladeinfrastruktur endet also nicht bei der Rückspeisung des Stroms ins Netz oder der zeitaktuellen Anpassung des Ladeverhaltens an äußere Umstände, sondern macht sich auch im Eigenheim bemerkbar.

i-rEzEPT nutzt die V2G-Technologie, da diese u.a. großes Potenzial in Sachen Stromeinsparung verspricht. © Nissan

i-rEzEPT nutzt die V2G-Technologie, da diese u.a. großes Potenzial in Sachen Stromeinsparung verspricht. © Nissan

Auch Shell Recharge Solutions hat sich der V2G-Technologie verschrieben und führt in Zusammenarbeit mit Mitsubishi, TenneT, Enel und Nuvve ein Pilotprojekt durch, das die Vorteile der smarten Technologie verdeutlichen soll. Auch hierbei ist das Ziel die Gewährleistung einer intelligenten Sektorkopplung und dementsprechend ausgewogenen Laststeuerung im Stromnetz. So kann der ESUV Outlander Phev von Mitsubishi in den Niederlanden bereits mithilfe von Vehicle-to-Grid zu einem ausgewogenen Stromnetz beitragen und in seinem 12-Kilowattstunden-Akku so viel Energie speichern, wie eine durchschnittliche Familie pro Tag verbraucht. Zur Mittagszeit werden die Produktionsspitzen der Solarenergie aufgenommen und während der abendlichen Nachfragespitze wieder ins Stromnetz zurückgespeist. Haben Fahrzeughalter:innen flächendeckend sowohl zu Hause als auch bei der Arbeit Zugang zu bidirektionalen Ladestationen, könnten 70 % aller Fahrzeuge zum Speichern überschüssiger Energie genutzt werden. Auch hier sind monetäre Vorteile für Verbraucher:innen vorgesehen.

Sollte sich eine flächendeckende Ausstattung sowohl öffentlicher als auch privater Ladestationen – und vor allem der Fahrzeuge selbst – mit der Infrastruktur zum smarten Laden etablieren, kann das Elektroauto seinen Anteil an der Transformation signifikant erhöhen. Die deutschen und europäischen Hersteller und Versorger bilden derzeit immer mehr Koalitionen, um das System zu erproben und zu verbessern. Bis alle rechtlichen und finanziellen Fragen geklärt sind, dauert es Prognosen zufolge noch seine Zeit; der Trend in der elektrifizierten Mobilitätsbranche zeigt aber klar und deutlich in Richtung der Vehicle-to-Grid-Technologie. Handlungsbedarf besteht aus Sicht von Dr. Martin Sachenbacher vor allem bei der sicheren Kommunikation und der effizienten Steuerung des Gesamtsystems. Auch müsse noch geklärt werden, wer bei Ausfällen haftet, wie Fehler zuverlässig erkannt werden und wie genau die Abrechnung des zurückgespeisten Stroms funktioniert. „Aus meiner Sicht ist daher zu erwarten, dass wir zunächst Lösungen im lokalen Maßstab sehen werden“, fasst Sachenbacher zusammen. Die kommenden Jahre werden nun Aufschluss darüber geben, wann Verbraucher:innen damit rechnen können, ihre Fahrzeuge flächendeckend in den smarten Ladekreislauf zu überführen.