Köln: 22.–23.05.2024 #polismobility

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Relevanz perspektivischer Reichweiten von E-Automobilen

Reichweite, die neuen PS?

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Die künftige motorisierte Individualmobilität wird sich zu einer neuen Tankmentalität wandeln – On Occasion statt On Demand.

Relevanz perspektivischer Reichweiten von E-Automobilen

Relevanz perspektivischer Reichweiten von E-Automobilen

E-Automobilen scheint noch immer das Stigma der Kurzatmigkeit anzuhaften. Wenig alltagstaugliche Angaben zu potentiellen Reichweiten, gewonnen aus modellhaften Testverfahren, wirkten bei den Kunden wie Katalysatoren von Enttäuschungserlebnissen.

In Zeiten des direkten Wettbewerbs kurz nach Markteintritt der neuen E-Automobile war diese bipolare Vergleichsmentalität noch wenig verwunderlich, da die Tankmentalität aus der Verbrennerzeit noch tief in der Wahrnehmung der Kundinnen und Kunden verankert war. Mit der Mobilitätswende sollten sich nun auch Verbraucherideologien wandeln: weg von Maximalwertvergleichen, hin zu praktikablen Lösungen.

Neu entwickelte Testverfahren bieten derzeit einen dezidierteren Blick auf die Fähigkeiten von Fahrzeugen, deren Antriebe und Energiequellen. Die Beurteilungsindikatoren folgen also aufgeklärteren Mustern und bilden einen Zwischenschritt auf dem Weg hin zu sinnhaftem Energiemanagement im motorisierten Individualverkehr und einem zukunftsfähigen Flottenmanagement.

Reichweiten-Dilemma

In Ballungsräumen mit flächendeckender Ladeinfrastruktur ist die E-Mobilität ohne Zweifel konkurrenzfähig, doch gerade bei höherem Aktionsradius spielt das Thema Reichweite bei der Kaufentscheidung noch immer eine prägende Rolle.

In der Kundenwahrnehmung sind die Leistungsindikatoren Kenngrößen, die das Meinungsbild entscheidend mitprägen.

Die intelligente Ladeplanung von Langstrecken kann längeren Fahrten jedoch den Charme eines Roadmovies verleihen, nimmt man die im Voraus errechneten Zwischenstopps als Gelegenheiten zum örtlichen Erleben oder Innehalten: Eine niedrigere Reichweite begrenzt also nicht unbedingt den Aktionsradius, sondern beeinflusst nur die Reiseplanung. Dabei sind Aussagen zu Reichweiten stets mit Unschärfe versehen, die eines präziseren Blicks auf die Testverfahren und die zu Grunde liegenden Technologien bedürfen.

WLTP – Lebensnähe durch Laborbedingungen

Bei den international harmonisierten Testverfahren durchlaufen Fahrzeuge präzise Belastungszyklen auf einem Prüfstand, wodurch unter Idealbedingung vergleichbare Werte der Abgasemissionen und des Kraftstoffverbrauchs ermittelt werden.

Fast 27 Jahre konnte sich der NEFZ, der „Neue Europäische Fahrzyklus“, als Standard-Testverfahren halten und zu Reichweitenangaben in den technischen Richtwerten beitragen. Seit 2017 wurde er dann sukzessive abgelöst, um präzisere, lebensnähere Werte bieten zu können.

Der nun etablierte Standard, die “Worldwide Harmonized Light-Duty Vehicles Test Procedure” (WLTP), wurde hinsichtlich der Prüfmodalitäten entscheidend angepasst. So wurde die Zykluszeit von 20 auf 30 Minuten erhöht und zudem der Standzeitanteil auf 13% (vormals 25%) gesenkt. Im Mittel wird nun eine höhere Geschwindigkeit gefahren (46,5 km/h – maximal: 131 km/h im vgl. zu: 34 km/h – maximal: 120 km/h) und auch die Antriebsleistung erhöht (46,5 km/h – maximal: 131 km/h von 34 km/h – maximal: 120 km/h).

Besonders erwähnenswert ist zudem die Berücksichtigung von Sonderausstattungen, Gewicht, Aerodynamik und Ruhestrom, die im NEFZ Verfahren noch nicht eingerechnet wurden. Die gemessenen Maximalreichweiten sinken daher bei WLTP um ca. 20% im Vergleich zu NEFZ und liegen noch immer höher als im Normalbetrieb. Somit wurde das Verfahren hinsichtlich der Abbildung lebensnäherer Szenarien verfeinert, es bleibt allerdings immer noch ein modellhaftes Vorgehen, da die Simulationen auf dem Prüfstand gefahren werden und lebendige Einflussgrößen erst durch den tatsächlichen Gebrauch ihre Wirkung entfalten.

Gamechanger Feststoffbatterie

Ein wesentlicher technischer Faktor der Reichweite in Standard-Fahrzyklen einerseits und im tatsächlichen Betrieb andererseits sind die verbauten Akkumulatoren. Die bisher marktbeherrschende Lithium-Ionen-Technologie darf sich dank innovativer Neuerungen als Pionier in der E-Mobilität schätzen und soll in absehbarer Zeit effizienteren und leistungsfähigeren Technologien weichen.

Die derzeit aufkeimenden Festkörperakkus werden hierbei einen entscheidenden Technologiesprung erzeugen, da sie nicht nur um 50 – 100% höhere volumetrische Energiedichten aufweisen als die herkömmlichen Akkus, sondern sich zudem noch schneller laden lassen. In der neuen Festkörperbatterie-Technologie wird es möglich sein, reines Lithium an der Anode der Batterie anzulagern. Bisher wurde dies über Lithiumeinlagerungen in einer Graphitschicht gelöst, da Lithium als Flüssigelektrolyt aufgrund der Bildung von Dendriten nachteilig reagiert und bei Betrieb den Defekt oder die Selbstentladung der Batterien hervorrufen kann.

Mit der keramischen Schicht eines Festkörperelektrolyten kann gleichsam die Dendritbildung unterbunden werden und das Material wäre, da es nicht brennbar ist, noch sicherer in der Anwendung. Noch sind dies allerdings Laborwerte, die von Prototypen gewonnen wurden. Da allerdings derzeit hohe Investitionssummen in die Forschung und Entwicklung im Festkörper-Akku-Segment fließen, lassen Hersteller auf eine serienmäßige Marktreife im Jahr 2025 vorausblicken. Die prognostizierten Reichweiten sollen sich damit verdoppeln und Werte bis über 1000 km pro Ladezyklus ermöglichen, wobei sich die Ladezeiten auf ca. 15 Min. (von 0-80%) verkürzen. Zudem werden den Festkörper-Akkus längere Lebenszyklen attestiert, sie sollen nach 800 Ladezyklen immer noch bei 80% der ursprünglichen Leistung liegen.

Doch auch diese Technologie ist bereits vor ihrer seriellen Marktreife mit aufkeimender Konkurrenz bedacht oder mit möglichen neuen Kombinationsverfahren gesegnet.

„Artificial Solid-Elektrolyte Interphase“ (A-SEI) nennt sich das bereits patentierte Verfahren, bei dem eine ultradünne Schicht, die die Dicke eines Atoms aufweist, auf die Kathodenmaterialien aufgetragen wird und dafür sorgt, dass sich die Energiedichte weiter erhöht und die Ladezeiten weiter gesenkt werden können. Fahrzeuge sollen damit nach 1000 km im Alltagsbetrieb, selbst bei dynamischer Fahrweise und Klimabetrieb, noch 20-30 % Restladung aufweisen. Damit wären dann kleinere Batterien mit einer Reichweite von 1000 km denkbar oder größere Varianten mit Reichweiten von bis zu 2000 km.

On Demand – On Occasion

Technische Parameter und Laborwerte sind für die Vergleichbarkeit von Technologien und Produkten weiterhin maßgeblich und sinnvoll. Die wahre Mobilitätswende kommt aber mit einer veränderten Einstellung gegenüber dem Ladeverhalten und verlagert sich von „On Demand“ hin zu „On Occasion“.

Die Maximalreichweiten werden noch im Wettbewerb archaische Denkweisen der Individualmobilität befeuern und dazu dienen, als Pendant zu den klassischen Tankladungen herangezogen zu werden. Die Chancen der neuen Technologien eröffnen sich erst, wenn man sich von den Vergleichsantagonismen löst. Kleinere Akkus sind ressourcenschonender und kostengünstiger; wenn also Fahrzeuge, die alltäglich Pausenzeiten stehend verbringen, on Occasion geladen werden, wird zwar eine dichtere Ladeinfrastruktur benötigt, dafür aber keine Rekordwerte mehr in Maximalreichweite. Bei Fahrten über 500 km können Kaffeepausen auch für das Fahrzeug zum Energietanken genutzt werden. Dieses neue Mindset hinsichtlich sinnhafter Akku- und damit Energieversorgung wird die Individualmobilität von morgen mitprägen.