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Selber anpacken statt auf die Bahn warten

Wer kümmert sich um Streckenreaktivierungen?

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Im letzten Jahr ist kein einziger Kilometer einer stillgelegten Bahnstrecke wieder in Betrieb gekommen. Wie steht es um das erklärte Ziel der Bundesregierung, Strecken zu reaktivieren? Am 7. Februar veranstaltete der Verein Allianz pro Schiene dazu ein Webinar, bei dem zwei neue Untersuchungen vorgestellt wurden. Sie zeigen eine von Engagierten getragene Szene – aber auch, wo Unterstützung gebraucht wird.

Zugewachsene Bahnstrecke auf einem Bahndamm zwischen jungen Bäumen.

Die stillgelegte Siemensbahn in Berlin wartet auf ihre Reaktivierung © Volker Emersleben/Deutsche Bahn AG

Mit Herzblut zum Bahnverkehr

Prof. Johannes Klühspies von der TH Deggendorf befragte mit seinen Studierenden im letzten Sommer Hunderte von Aktiven bei Reaktivierungsinitiativen im deutschsprachigen Raum. Ihre Untersuchung zeichnet ein Bild einer sehr engagierten Szene. „Sie ist ein bisschen männerdominiert und im Schnitt über 40 Jahre alt“, gab er im Webinar zu, „aber die Leute sind hochmotiviert, sehr aktiv und investieren sehr viel Zeit und Herzblut.“ Die Aktiven fühlten sich ihren Projekten eng verbunden und identifizierten sich stark damit.

Gemäß der Untersuchung sehen die Gruppen selbst das Geld als größte Hürde für ihre Reaktivierungsprojekte an. Sie finanzieren sich ganz überwiegend durch Eigenleistungen und private Spenden, die sehr traditionell eingeworben werden; für bahnbrechende Veränderungen keine ideale Ausgangssituation. Das zweitstärkste Hindernis für die Initiativen ist die fehlende politische Unterstützung – vor allem aus der Lokalpolitik – gefolgt vom Nachweis der Wirtschaftlichkeit. Konkret rät Klühspieß den Initiativen, dabei etwa den Güter- und Schülerverkehr stärker zu bedenken. Außerdem empfiehlt er prägnante und professionellere Medienstrategien, um die Akzeptanz für die Reaktivierung zu erhöhen und das Projekt letztlich zum Erfolg zu führen.

Förderung für Strecken ist gut, Betriebskonzepte sind besser

Prof. Volker Stölting sprach als Vertreter des Arbeitskreises "Reaktivierung von Schienensstecken als Instrument der integrierten Raumentwicklung" bei der ARL. Der Arbeitskreis möchte noch Anfang des Jahres ein Positionspapier veröffentlichen, in dem vor allem die zahlreichen positiven Wirkungen für Regionen, die (wieder) über eine Bahnanbindung verfügen, herausgearbeitet werden sollen. Ebenso will der Arbeitskreis Hindernisse bei der Reaktivierung untersuchen. Für ein großes Problem hält Stölting im Moment den dauerhaften Betrieb auf aktuell stillgelegten Strecken: „Die Finanzierung der Infrastruktur ist meist über Fördertöpfe irgendwo möglich, wichtig ist aber das Betriebskonzept.“ Dafür könne es auch nötig sein, dass sich die Kommunen und Kreise finanziell mehr beteiligen.

Im Webinar sah Andreas Geißler von der Allianz pro Schiene die Rahmenbedingungen für die Infrastrukturfinanzierung ebenfalls deutlich verbessert, etwa durch die neue 90-prozentige Fördermöglichkeit im GVFG-Programm 2021–2025. Außerdem sei das seit August 2022 gültige Verfahren der Standardisierten Bewertung „deutlich praxisnäher“. Die Allianz pro Schiene fordert außerdem ein Bundesprogramm Reaktivierung speziell für den Güterverkehr, da es dort bislang weniger Förderungen gebe.

Zug an einem Bahnsteig

Das derzeitige Ende der Bahnlinie in Wölfersheim-Södel. © Wolfgang Wolf/Hessen Mobil

Wer übernimmt die Daseinsvorsorge?

Fast einig war sich die Gruppe in der Kritik an der DB InfraGO, der zum Jahreswechsel zusammengeführten, stärker gemeinwohlorientierten Infrastruktureinheit im DB-Konzern. Aus Ihrer Sicht ändert sie wenig an der Situation, dass die DB an „unwirtschaftlichen“ Strecken nicht interessiert sei. Andererseits gebe es, außer der selbst von Engagierten betriebenen Deutschen Regionaleisenbahn, wenige Unternehmen, die sich in dem Bereich engagieren. „Das ist nicht unbedingt das rentabelste Geschäft“, gab Prof. Lukas Iffländer von Pro Bahn zu. Prof. Stölting entgegnete, dass sich die DB an manchen Stellen durchaus für eine Reaktivierung einsetze. Im Moment sei vor allem die Unterstützung durch die Länder vielversprechend.

Im Webinar ging es auch darum, wie mögliche Bahntrassen geschützt werden können. Kerstin Haarmann vom Verkehrsclub Deutschland (VCD) setzte sich für schärfere Kriterien bei Streckenentwidmungen ein, also der endgültigen Aufgabe einer Bahnstrecke. Statt auf Einsprüche zu warten, sollten alle Betroffenen nachweisen, dass sie kein Interesse an der Reaktivierung haben. Prof. Stölting kritisierte, wie unterschiedlich hier Bahn und Straße behandelt werden: „Wieso müssen wir bei der Bahn über Infrastrukturerhaltung sprechen? Das ist eine öffentliche Infrastruktur, da ist für mich selbstverständlich, dass die wie eine Landes- oder Kreisstraße erhalten wird.“ Im Moment sei aber noch eine hohe Leistung von den Initiativen gefragt, sagte Prof. Klühspieß zum Abschluss. Alle Beteiligten riefen dazu auf, die Zusammenarbeit zu suchen und so das Potential der Reaktivierungen zu nutzen.

Nach Angaben der Allianz pro Schiene wurden 2022 lediglich acht Kilometer Schienennetz in Deutschland reaktiviert, 2023 wurde gar keine Reaktivierung umgesetzt. Die Organisation hatte bereits im vergangenen Jahr darauf aufmerksam gemacht, dass die Zahl der Machbarkeitsstudien für Reaktivierungen in Deutschland stark gestiegen ist. Zusammen mit dem Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) hatte das gemeinnützige Bündnis ausgerechnet, dass Machbarkeitsstudien in mehr als 75 Prozent der Fälle zu einem positiven Ergebnis kommen. Einige Strecken sind schon weiter und könnten in den nächsten Jahren wieder in Betrieb genommen werden, in Hessen zum Beispiel die Horlofftalbahn von Wölfersheim-Södel nach Hungen oder die Lumdatalbahn nach Londorf.

Verrostete Bahnstrecke kreuzt eine Landstraße, im Hintergrund ein Wald, Felder und Bäume

Die Horlofftalbahn zwischen Hüngen und Wölfersheim (hier im Sommer 2018) könnte schon 2025 wieder fahren und so die Region besser anbinden. © Wolfgang Wolf/Hessen Mobil