Köln: 22.–23.05.2024 #polismobility

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Der Weg zur Wende

ÜBER NARRATIVE, BETEILIGUNG UND SELBSTWIRKSAMKEIT

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Welche Bilder braucht die Verkehrswende und wie gelingt gesellschaftlicher Wandel für eine Transformation? Prof. Dirk Rompf im Gespräch über die Entwicklung der Energie- und Mobilitätswende und die Rolle der Selbstwirksamkeit hierbei.

© ifok GmbH

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Herr Prof. Rompf, was macht ifok eigentlich?

ifok ist ein Beratungsunternehmen, das sich die Transformation auf die Fahne geschrieben hat – Transformation zu großen gesellschaftlich relevanten Themen. Wir sind Teil eines größeren Beratungsunternehmens mit insgesamt etwa 800 Mitarbeitenden. In Europa sind davon etwa 250 tätig. Die Themen, für die wir stehen, sind die Mobilitätswende, die Energiewende – sowie die Frage: Wie werden wir zu einer klimaneutralen Gesellschaft? Wie können wir klimaresilient werden? Es geht aber auch um Themen der Gesundheit oder die Frage: Wie kann die Demokratie der Zukunft aussehen?

Lassen Sie uns zunächst konkret über die Mobilitätswende sprechen, mit einem kleinen Schwenk in Richtung Energie und Sektorkopplung. Wenn Sie sich festlegen müssten, welche die wichtigsten Stellschrauben in den nächsten Jahren sind, um die Mobilitätswende zu schaffen – welche wären das?

Ich würde das gerne in vier Bereiche unterteilen. Das Erste ist: Wir brauchen einen Wechsel im Bereich der Antriebstechnologien und der Gewichtung der Verkehrsmodi am Verkehrsaufkommen. Ich glaube, zum Thema Antriebstechnologie, dem Wechsel hin zu Elektromobilität oder anderen Antriebsformen rund um Wasserstoff muss ich nicht viel sagen, das ist im Gange. Parallel aber ist es wichtig, dass wir versuchen, attraktivere Randbedingungen auch für den öffentlichen Verkehr zu schaffen. Das gilt sowohl deutschlandweit als auch im regionalen Umfeld. Und natürlich Rad- und Fußverkehr stärken.

Das Zweite würde ich gerne am Beispiel des Neun-Euro-Tickets festmachen. Wir haben über den Sommer sehen können, dass Menschen reagieren, dass sie ihr Mobilitätsverhalten anpassen, wenn es attraktive, günstige und vor allem auch einfache Rahmenbedingungen im öffentlichen Verkehr gibt. Ich hoffe, dass es gelingen wird, eine nachhaltige Folgelösung dafür zu finden. Danach wird es darum gehen, die Tarifstruktur im öffentlichen Verkehr grundsätzlich zu vereinfachen.

Der dritte Bereich: Die Mobilitätswende geht aus meiner Sicht Hand in Hand mit der Frage, wie wir den Raum neu organisieren. Das gilt insbesondere im städtischen Kontext, weil dort die Flächen zueinander in Konkurrenz stehen. Die Mobilitätswende und die Frage, wie die Stadt der Zukunft aussehen kann, sind nur miteinander lösbar. Ähnliches gilt auch im ländlichen Raum.

Und viertens: Was meiner Ansicht nach die Mobilitätswende sehr schwierig macht: Sie bedingt, dass jeder sein täglich eingeübtes Verhalten ein Stück weit hinterfragt und dann auch bereit zur Veränderung ist – und das ist nicht einfach. Es reicht nicht, wenn das ein paar hundert Leute machen. Das müssen viele Millionen Menschen machen. Dann erreichen wir die Mobilitätswende. Diese Veränderung nicht nur in den Köpfen der Menschen zu verankern, sondern auch im Herzen und in Hand und Fuß – das ist eine Thematik, an der man arbeiten muss. Dabei geht es auch um die Frage: Was ist das, das die Menschen emotional mit Mobilität verbinden?

Beim zweiten Bereich verstehen Sie die veränderten Bedingungen als Pull-Faktor?

Richtig. Wir haben ja eine ziemlich zersplitterte Landschaft von Mobilitätsangeboten. Eine Alternative zum Auto muss einfach, flexibel und preislich attraktiv sein. Ins Auto setze ich mich hinein und habe das Gefühl, meine persönliche Mobilität im Griff zu haben, unter Kontrolle. Wenn die Alternativen nicht ein ähnliches Gefühl verleihen, dann werden sie nicht wahrgenommen. Hierfür müssen entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen werden.

Sie sprachen gerade das Gefühl an, das mit dem Auto verbunden wird. In dem Zusammenhang ist auch das Gefühl von Freiheit oft ein Thema – welche Rolle spielt so ein Narrativ und wie könnte man es verändern?

Ja, das spielt eine riesige Rolle. Ich nehme mal meine Generation. Für mich und auch ganz viele in meiner Altersgruppe gab es nichts Wichtigeres, als zum 18. Geburtstag den Führerschein auf dem Tisch liegen zu haben und in ein Auto oder auf ein Motorrad steigen zu können. Weil man dann das Gefühl hatte, sein Leben in die Hand zu nehmen, sich endlich das erobern zu können, was man möchte. Vermutlich ist das bei vielen Menschen so. Das Motiv „Auto gleich Freiheit“ oder „Auto gleich Selbstständigkeit“ werden wir nur ablösen, wenn wir ein ähnlich starkes anderes Narrativ produzieren. Ich denke, wir sind dabei auf einem guten Weg. Ich kann mir vorstellen, dass in den nächsten Jahren ein Narrativ entsteht, das die Mobilität mit Dingen in Verbindung bringt, die gut für die Menschen sind. Das kann beispielsweise der Weg sein, den man zu Fuß oder mit dem Rad nimmt, bei dem man gleichzeitig etwas für seine Gesundheit tut. Oder die Entspannung, weil man während einer Reise etwas tun kann, zu dem man sonst nicht kommt. An einem neuen Narrativ muss man arbeiten. Es muss stark sein. Es muss ein Bild kreieren. Es wird Jahre brauchen, bis es sich in den Köpfen und auch im Verhalten durchsetzt und festigt. Das Narrativ um das Auto ist ja auch nicht von jetzt auf gleich entstanden.

Wer kreiert dieses Bild von der Zukunft? Ist das etwas, das wir gesellschaftlich gemeinsam entwickeln? Sind wir uns dahingehend einig, wie es aussehen soll?

Sie sprechen einen entscheidenden Punkt an. Meine Wahrnehmung ist, dass auf europäischer, auf Bundesund auch auf Länderebene zwar die Randbedingungen für eine neue Mobilität geschaffen werden. Ganz entscheidend ist aber, dass die Mobilitätswende vor Ort stattfindet. Also in den Kreisen und Kommunen. Hier brauchen wir einen Dreiklang. Zunächst müssen Leitbilder entwickelt werden für die Mobilität der Zukunft. Diese können allerdings nicht an den Menschen vorbei von der Politik oder großen Unternehmen vorgegeben werden, sondern müssen mit den Menschen entstehen. Weiterhin müssen wir zu dem Punkt kommen, dass jeder Einzelne die Fragen zu seiner persönlichen Mobilität beantworten kann. Zum Beispiel: Wird eine veränderte Mobilität für mich mit Einschränkungen verbunden sein – oder nicht? Und es bedingt Letzteres, wenn die Veränderung erfolgreich sein soll. Es muss ein Bild im Kopf entstehen, wie man in Zukunft von A nach B kommt. Und das Dritte ist: Dieses Bild sollte in die Praxis überführt werden. Das heißt, es müssen Gelegenheiten geschaffen werden, bei denen man eine veränderte Mobilität ausprobieren kann. Wie fühlt es sich an, wenn man mal zehn, fünfzehn Kilometer mit einem E-Bike fährt? Ich glaube, nur wenn dies alles zusammenkommt – das große Bild, an dem man beteiligt war als Bürger:in; das Gefühl für die persönliche Mobilität und die Praxis, das Ausprobieren – dann kann eine Veränderung entstehen.

Das Ausprobieren ist ja bereits ein Weg der Beteiligung. Wie lässt sich dies über punktuelle Projekte, über das Kleine hinaus institutionalisieren und wie würde das aussehen?

Über die polisMOBILITY arbeiten Sie in diese Richtung ganz konkret im Kölner Raum. Meiner Meinung nach macht Köln das gut. Die Stadt hat einen sogenannten SUMP auf den Weg gebracht – einen Sustainable Urban Mobility Plan, in dem ein Leitbild für die städtische Mobilität entwickelt wird. Unter breiter Einbindung der kompletten Akteurslandschaft. Das ist ein großer Unterschied zu dem, wie es in der Vergangenheit in vielen Kommunen gemacht wurde. Ich glaube, der Stadt Köln und ihren Verantwortlichen ist klar geworden: Nur wenn alle gehört werden, dann ist eine Bereitschaft da, dass sich wirklich etwas verändert. Darüber hinaus hat man jetzt Reallabore angestoßen. Diese Kombination vom großen Bild und dem konkreten Beispiel macht es möglich, Dinge zu verändern. Und das, was Köln macht, machen andere Kommunen auch. Der Bund hat hier aus meiner Sicht klug agiert und Förderprogramme aufgelegt – für die Kommunen, die solche SUMP-Prozesse nach einem ähnlichen Muster durchführen, wie es Köln vormacht.

Ein anderes Instrument sind sogenannte Bürgerräte. Wir haben bei ifok mit Bürgerräten sehr gute Erfahrungen gemacht – im Bereich Klimaschutz, im Bereich Mobilität und auch im Bereich neuer demokratischer Elemente. Das Prozedere sieht wie folgt aus: Es werden zufällig Bürger:innen ausgewählt, die sich über mehrere Wochen und Monate den wesentlichen Aspekten einer Fragestellung – in diesem Fall der Mobilität der Zukunft – widmen können. Zunächst geht es gar nicht um die eigene Meinung, sondern um Input von außen, von Expert:innen. Es werden Meinungen kontrastiert, sodass die Gruppe in der Lage ist, sich gemeinsam eine Meinung zu bilden. Erst dann werden Empfehlungen ausgesprochen, die dann auch an die Politik herangetragen werden.

Das ist ein mächtiges Instrument, auch um den Verantwortlichen bewusst zu machen: Wozu wären aufgeklärte Bürger:innen eigentlich bereit? Dabei kommen spannende Ergebnisse heraus. Wir haben in unseren Bürgerräten festgestellt, dass die Bürger:innen nach solch einem Prozess willens wären, viel weiter zu gehen, als die Gesetzesvorhaben es eigentlich ausweisen.

Es ist daher sehr erfreulich, dass dieses Instrument auf europäischer Ebene zum Standard im demokratischen Prozess der EU werden soll. Auch auf deutscher Seite findet Ähnliches statt.

Das Thema Selbstwirksamkeit ist sicherlich ein Schlüssel. Sie unterstützen mit ifok das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Kopernikus­Forschungsprojekt „Ariadne“, das Bürgerbeteiligung als Element der Energiewendeforschung etabliert. Eine Erkenntnis ist, dass sich die beteiligten Bürger:innen im Bereich Stromwende viel selbstwirksamer und handlungsfähiger fühlen als im Bereich Verkehrswende. Das ist eigentlich überraschend, weil man doch annehmen würde, dass Mobilität viel greifbarer sei als so etwas „Abstraktes“ wie Strom. Wissen Sie, woran das liegt? Und könnte man das für die Mobilitätswende nutzbar machen?

Ich habe zumindest eine These, woran das liegt. Das Thema der Energiewende ist schon deutlich länger in der breiten öffentlichen Diskussion, als es bei der Mobilitätswende der Fall ist. Über Windkraftanlagen oder PV-Anlagen diskutieren wir schon seit über 20 Jahren und haben uns da schon seit geraumer Zeit auf den Weg gemacht. Die Menschen haben hierbei – auch ganz praktische – Erfahrungen gesammelt. Ein kleines Beispiel: Ich besitze mein früheres Elternhaus in einem kleinen hessischen Ort. Mir ist am Wochenende eine Einladung für eine Bürgerveranstaltung dort in den Briefkasten geflattert – in meinem Heimatort wird eine Energiegenossenschaft gegründet. Das heißt, die Bürger:innen organisieren sich, bauen ein Kraftwerk und versorgen sich mit Strom. Ich bin zu dieser Veranstaltung gegangen, habe mir das alles angehört – und werde jetzt Mitglied dieser Genossenschaft. Das ist maximale Selbstwirksamkeit, denn man nimmt sozusagen seine Zukunft selbst in die Hand.

Insofern hat uns das Ergebnis – um jetzt wieder zurückzukommen zur breiteren Thematik – bei „Ariadne“ nicht überrascht. Ich glaube, dass wir eine ähnliche Entwicklung auch bei der Mobilität sehen werden. Wir sind hier immer noch nicht so weit wie im Bereich der Energie, aber wir machen uns auf den Weg. Je mehr Beteiligungsprozesse praktisch stattgefunden haben, umso mehr Selbstwirksamkeit wird man erfahren. Es braucht eine Weile, einen Eindruck davon zu bekommen, wie die Mobilitätswende gelingen kann – auch, weil Deutschland viel stärker ein „Autoland“ ist, als es andere Länder sind.

Die Kopplung der beiden Sektoren Mobilität und Energie ist essenziell, um eine Wende hinzubekommen. Wie integriert denken wir diese Bereiche schon?

Nach meiner Einschätzung ist es nicht nur an der Schnittstelle der Sektoren Energie und Mobilität so, dass wir stark in Silos denken. Es ist, glaube ich, ein kennzeichnendes Element für die Mobilitätswende generell. Die Frage, wie wir künftig in der Stadt zusammenleben wollen, ist absolut abhängig von und nur im Zusammenwirken mit der Mobilität zu beantworten.

Ein anderes Beispiel: Allein die Organisation von intermodalen Mobilitätsketten ist problematisch, weil wir es gewohnt sind, jeden Transportweg unabhängig voneinander zu entwickeln. Die Schnittstellen sind keinesfalls ausoptimiert und es ist auch nicht klar, wer die Verantwortung für diese Schnittstellen trägt.

Was das Ganze braucht, ist eine Zusammenarbeit über Grenzen hinweg. Und das beginnt schon in den Behörden. In einer typisch organisierten Stadt gibt es ein Stadtentwicklungsdezernat, ein Umweltdezernat und ein Verkehrsdezernat. Wenn diese gut zusammenarbeiten, ist das ein absoluter Glücksfall. Das müsste aber der Standard werden. Und wenn man wirklich etwas bewirken möchte, dann müssen sie zudem noch über die Stadtgrenzen hinweg zusammenarbeiten. Denn eine ganz gravierende Thematik ist die Frage des Pendelns – in die Stadt hinein oder auch wieder heraus. Wenn wir nicht nur darüber nachdenken, wie wir Verkehr neu organisieren, sondern wie wir vielleicht auch Verkehr vermeiden, dann brauchen wir einen Kontext, der es erlaubt, nicht nur innerhalb der Kommunen Lösungen zu finden, sondern auch gemeinsam mit dem Umland. Aber unsere Entscheidungsprozesse sind darauf oft nicht ausgelegt. Das heißt, es sind letztlich andere Austauschformate erforderlich.

... also neue Formen der Kooperationen zwischen Kommunen?

Ein positives und Mut machendes Beispiel findet sich in Baden-Württemberg. Dort haben sich – initiiert durch die Landesregierung – verschiedene Mobilitätspakte gebildet. Hierbei haben sich Kommunen oder Kreise aus Metropolregionen zusammengeschlossen, zum Teil auch mit Handelskammern, mit großen Industrieunternehmen, zum Teil auch mit NGOs, und es sich zur Aufgabe gemacht, für die jeweilige Region Lösungen für die Mobilität der Zukunft zu entwickeln. Es gibt jetzt sechs Mobilitätspakte in Baden-Württemberg, im Rhein-Neckar-Bereich, in der Region Stuttgart und im Raum Freiburg, in deren Rahmen die Probleme integriert angegangen werden. Das ist kein einfacher Prozess, weil es dafür keine politische Legitimation gibt. Aber es ist die Bereitschaft da, die Dinge anders zu machen – und als Konzept finde ich das hervorragend.

Ein schöner Abschlussgedanke. Herr Prof. Rompf, vielen Dank für das Gespräch.

PROF. DR. DIRK ROMPF

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ist Geschäftsführer der ifok GmbH, im Vorstand der ifok-Muttergesellschaft Cadmus und seit rund 25 Jahren in unterschiedlichen Funktionen im Bereich Mobilität, Infrastruktur, Energie und Klima tätig. Seine Laufbahn startete im Bereich der Unternehmensberatung, danach war Rompf 13 Jahre bei der Deutschen Bahn tätig, zuletzt als Vorstand der DB Netz AG. Er ist seit über 13 Jahren Professor für Transport und Mobilität der International School of Management in Frankfurt. Meilensteine seiner beruflichen Laufbahn waren zudem zwei Managementberatungen, in denen er unter anderem als Senior Partner die Themen Mobilität und Infrastruktur verantwortete.