Köln: 22.–23.05.2024 #polismobility

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Wohin damit?

Waren- und Güterlogistik in der Mobilitätswende

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Kommt der Mensch zur Ware oder die Ware zum Menschen? In der modernen Stadt passiert beides gleichzeitig und nebeneinander. Zusammen mit Prof. Michael Lorth überlegen wir, ob und wie die Ideen zur Mobilität mit denen zum Warentransport zusammenpassen.

Grafik einer Stadt in zwei Bereichen, die über einen Tunnel verbunden sind. In der Peripherie ein Gebäude mit der Aufschrift „Urban Hub“, das von Lkw beliefert wird. In der Innenstadt viele Gebäude, eines als „City Hub“ beschriftet und mit dem Tunnel verbunden. In der Stadt fahren Lastenräder und Lieferroboter über die Straßen.

© Michael Lorth (TH Köln) / Nina Lockemann

Die City

Bis auf wenige Ausnahmen sind die deutschen Großstädte hunderte, manche tausende Jahre alt. Oft gerät nach so vielen Jahren in Vergessenheit, dass diese Städte oft dort entstanden, wo Waren getauscht und gehandelt wurden. Dieser Austausch machte die Stadt zu einem attraktiven Ort, um sich niederzulassen. Die Marktplätze waren oft die Keimzellen der Städte und Grundlage für unsere heutige Gesellschaftsordnung. „Verkehrsleistungen ermöglichen erst jenes Phänomen, das man ‚Markt‘ nennt“, schrieb der Verkehrsökonom Fritz Voigt vor fünfzig Jahren in seinem Standardwerk Verkehr und meinte damit sowohl Märkte im wörtlichen und im übertragenen Sinn.

In der modernen Großstadt führen die Märkte unter freiem Himmel ein Nischendasein. Ihre Aufgabe, die Versorgung mit Waren des täglichen Bedarfs, wird heute von Supermärkten übernommen, und in wachsendem Maße vom Onlinehandel. Die Waren kommen, egal ob mit dem Umweg Supermarkt oder direkt per Haustürlieferung, aus den geschichtslosen Logistikzentren in den Gewerbegebieten außerhalb der Stadt. Auch die alten Umschlag- und Handelsplätze, die Güterbahnhöfe, Stadthäfen und Speicherhäuser haben ausgedient und werden zu neuem Wohnraum. „Wir bauen die Städte um wie ein Haus, in dem Küche, Bad und Keller für fünf Wohnzimmer hergegeben werden. Wer Hunger hat, muss dann das Haus verlassen“, beschreibt Prof. Michael Lorth die Situation. Er hat an der TH Köln die Professur für Logistikconsulting inne. „Die städtische Versorgung ist heute weitgehend von der Peripherie abhängig. Die ‚letzte Meile‘ im wichtigen Stückgutbereich ist im Durchschnitt 30 Kilometer lang, das verursacht enorm viel Verkehr. Und jetzt versuchen wir, den Lkw-Verkehr wieder zu reduzieren, den wir durch die Verdrängung urbaner Logistikinfrastrukturen selbst mitverursacht haben.“

Grafik einer Stadt in zwei Bereichen, die über einen Tunnel verbunden sind. In der Peripherie ein Gebäude mit der Aufschrift „Urban Hub“, das von Lkw beliefert wird. In der Innenstadt viele Gebäude, eines als „City Hub“ beschriftet und mit dem Tunnel verbunden. In der Stadt fahren Lastenräder und Lieferroboter über die Straßen.

© Michael Lorth (TH Köln) / Nina Lockemann

Die Logistik

Eine wortwörtlich naheliegende Lösung könnten Umschlag-und Lagerflächen in der Stadt sein, die von außerhalb mit leistungsfähigen und emissionsarmen Transportmitteln bedient werden können. Solche innerstädtische „Hubs“ wären dann Ausgangs- und Zielpunkte für die Bündelung von Gütern und die Feinverteilung mit wesentlich kleineren und stadtraumverträglicheren Fahrzeugen in der Stadt. Dafür fehlen aber oft nicht nur die Flächen, sondern auch das Verständnis und Engagement der Kommunen für die Logistik. Eine Veröffentlichung der Agora Verkehrswende zeigt auf, wie Städte und Gemeinden dazu beitragen können, den Güterverkehr nachhaltig zu steuern.

Anders als wir Menschen sind Waren nicht von sich aus mobil. Sie werden nur deshalb überhaupt transportiert, weil sie an anderen Orten hergestellt und verwendet werden. Ihre Verteilung wird von Spediteuren, Empfängern und Versendern organisiert, ohne dass andere davon viel erfahren. Hinzu kommt, dass die städtische Versorgung in unterschiedliche Logistiksegmente fällt – jede Supermarktkette hat ein eigenes Logistiknetzwerk, das eng an die jeweiligen Unternehmen gebunden ist, während der Einzelhandel klassisch von Stückgutspediteuren beliefert wird, die oftmals in Stückgutnetzwerken miteinander kooperieren, um wettbewerbsfähig zu sein. Die Kommunen lassen die Logistikbranche oft gewähren und vertrauen darauf, dass sie sich selbst effizient organisiert. Sie berücksichtigt dabei jedoch überwiegend ihr eigenes Netzwerk, während eine Kommune die Effizienz für alle im Blick haben sollte. Die Studie der Agora Verkehrswende weist darauf hin, dass sich an dieser Stelle viel an Verkehr und Emissionen einsparen lasse, wenn es etwa Anreize für stärkere Bündelung und Kooperation gebe. Die Logistikbranche reagiere sehr gut auf Preisinstrumente und Vorgaben der öffentlichen Hand, benötige aber auch Planungssicherheit und Ansprechbarkeit. Letztendlich müsse sich aber nicht die Stadt nach dem längst überkommenen Ideal einer verkehrs- und logistikoptimierten Stadt richten, sondern die Logistik ein gutes Leben in der Stadt ermöglichen, meint Prof. Lorth.

City-Logistik

Ein Ansatz dafür läuft unter dem Schlagwort der City-Logistik. Allein das Wort versprüht den Charme der 90er Jahre. Damals ging es vor allem darum, dass Logistikunternehmen effizienter in Ballungsräumen operieren, indem sie kooperieren und Lieferungen vor den Toren der Stadt in kleinere Fahrzeuge umschlagen. Positive Effekte für die Umwelt waren eher nebensächlich. Um die Jahrtausendwende liefen zahlreiche Förderungen aus und viele Projekte wurden wieder eingestellt. Übrig blieben vor allem die Güterverkehrszentren und das inzwischen allgegenwärtige Schlagwort „multimodal“, das eigentlich die Bedienung per Straße, Schiene oder Schiff meint. Heute kennt man es vor allem im Personenverkehr, wenn es um Mobilstationen und Umsteigeknoten geht.

„City-Logistik steht für mehr als nur den Gütertransport in einer Stadt“, so Prof. Laetitia Dablanc von der Universität Gustave Eiffel in einem Definitionsversuch. Es gehe darum, die städtische Versorgung nach den höchsten ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Standards zu ermöglichen. Es geht also um die Frage, was die Logistik eigentlich in der Stadt leisten muss.

Längsschnitt eines Mehrzweckgebäudes, unterirdisch mit zwei Ebenen. Oben eine Verladung mit Straßenfahrzeugen, unten mit Lagereinrichtung und Anbindung an ein Untergrundtransportsystem.

© Michael Lorth (TH Köln) / Nina Lockemann

„In dem Bereich der Mobilität sieht man das eigentlich“, meint Prof. Lorth. „Bahnhöfe in der Innenstadt, vielleicht eine U-Bahn und darüber hinaus zahlreiche Buslinien – gebündelte Verkehrsströme, die so nah wie möglich zu den Ausgangs- und Zielpunkten führen. In der Logistik fahren wir einfach von außen rein in die Stadt, ohne die Potenziale stärker gebündelter Transporte auch nur annähernd auszunutzen. Wir schlagen daher ein Umdenken in der Planung vor, um eine leistungsfähige, intelligente und nachhaltige Logistikinfrastruktur zur Ver- und Entsorgung aufzubauen, die eine Losgrößentransformation und eine zeitliche Entkoppelung logistischer Prozesse nah an den innerstädtischen Quellen und Senken ermöglicht.“ In den zentralen Lagen könnten und sollten die Infrastrukturen nach seiner Meinung auch unterirdisch sein, um den knappen oberirdischen Stadtraum nicht zusätzlich zu beanspruchen und multiple Flächennutzungen zu ermöglichen. „Niemand will in den Stadtzentren oberirdische Logistikzentren sehen.“ Aber wäre das realistisch? Lorth zieht Parallelen zwischen dem Umgang mit dem Güterverkehr und der Mobilität von Personen: Große und gebündelte Strukturen in der Stadt seien im Personenverkehr normal und akzeptiert. „Nur bei Logistik machen wir es ganz anders. Das sollten wir ändern, wenn wir ein nachhaltigeres Leben in attraktiven, lebenswerten und klimaresilienten Städten ermöglichen wollen. Das wird auch nicht zum Nulltarif gehen, aber wir gewinnen damit ein wesentliches Stück Lebensqualität für die Menschen zurück.“

Er weist auch darauf hin, wie eng Personen- und Güterverkehr zusammenhängen. Viele Fahrten würden unternommen, um einzukaufen oder private Güter zu transportieren. Eine aktuelle Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes untersuchte unter anderem, ob der Onlinehandel bereits heute Einkaufsfahrten ersetzt. Dies konnte in Deutschland, wie auch in anderen Ländern, nicht festgestellt werden. Gleichzeitig bestehe aber bei steigendem Onlineanteil der Versorgung die Möglichkeit, Einkaufsverkehre einzusparen.