Köln: 22.–23.05.2024 #polismobility

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INTELLIGENTE STRASSEN FÜR DIE STÄDTE VON MORGEN

EIN NEUES PARADIGMA FÜR KONTINUIERLICHE INNOVATION

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Csilla Letay im Gespräch mit Prof. Nicolas Hautière, leitender Forscher an der Universität Gustave Eiffel

Blick auf einen Teil einer solarbetriebenen Straße im Wissenschafts- und Technologiepark Savoie Technolac © Florian Pépellin - lizenziert unter CC-BY-SA 4.0

Blick auf einen Teil einer solarbetriebenen Straße im Wissenschafts- und Technologiepark Savoie Technolac © Florian Pépellin - lizenziert unter CC-BY-SA 4.0

"Straßeninfrastrukturen wie der Bürgersteig oder die Grünstreifen können zur Energiegewinnung genutzt werden. Diese Energie kann als Strom für die Versorgung der verschiedenen Sensoren und Aktoren genutzt werden."

Herr Prof. Hautière, wenn von der Mobilitätswende die Rede ist, stehen meist Fahrzeuge, automatisierte Fahrtechnologien, Car-to-Car-Kommunikation, Intermodalität und Mikromobilität im öffentlichen Fokus. Über Infrastruktur wird eher unter räumlichen Aspekten gesprochen - aber der konkrete Boden, auf dem die Fahrzeuge fahren und fahren werden, kommt meist nicht vor. Warum ist das so?

Das ist eine komplexe oder besser gesagt eine systemische Frage. In der Tat sind die Wechselwirkungen zwischen dem Fahrzeug, dem Fahrer und der Straßeninfrastruktur die Grundprinzipien für die Gestaltung der Straßen, die wir heute nutzen. Daher muss man voraussehen, wie sich die Menschen in Zukunft bewegen werden, um die Straße der Zukunft zu gestalten. Dies erklärt, warum sich die meisten Diskussionen ausschließlich mit den Fahrzeugaspekten befassen. Die Autobahn zum Beispiel ist für Kraftfahrzeuge konzipiert worden. Wenn wir uns anders fortbewegen wollen, müssen wir eine neue Generation von Straßen erfinden. Die Frage wird noch viel kniffliger, wenn es um die erforderliche Straßeninfrastruktur für autonome Autos oder Elektroautos geht. Einige sind der Meinung, dass diese Autos unabhängig von der Infrastruktur sein sollten, während andere genau das Gegenteil behaupten. Dies wird zu einer Kontroverse für öffentliche Entscheidungsträger, die in ihren Entscheidungen so gut wie möglich aufgeklärt werden müssen. Aus raumplanerischer Sicht könnte dies auch Auswirkungen auf die Auslastung der einzelnen Fahrzeuge auf den Stadtautobahnen und die mögliche Zunahme der Zersiedelung durch unregulierte neue Fahrzeugtechnologien haben.

Auf dem Symposium "Science meets City", eingebettet in die polis- MOBILITY-Veranstaltung im Mai, hielten Sie einen Vortrag zum Thema "Smart Roads as a Strategic Issue for Tomorrow's Cities". Haben die europäischen Städte und Gemeinden dieses Thema ausreichend im Blick?

Die meisten Städte in Europa sind sich der Auswirkungen des individuellen Autobesitzes auf die Überlastung der Autobahnen und der damit verbundenen externen Umwelteffekte bewusst und versuchen, dieses Problem auf ihrer eigenen Zuständigkeitsebene zu entschärfen. Dies reicht in der Regel nicht aus, um ein solches Problem zu lösen, vor allem wegen zweier Komplikationen. Erstens sind die Städte nicht in der Lage, auf den Straßenverkehr einzuwirken, der von außerhalb ihres geografischen Gebiets kommt. Zweitens ist die lokale Verwaltung, die für die Instandhaltung der Straßen zuständig ist, nicht immer auch diejenige, die für die Planung des öffentlichen Verkehrs zuständig ist.

Wenn wir über intelligente Städte sprechen - welche Rolle spielen die Straßen bei solchen Projekten? Was können sie leisten, wie werden sie eingebettet sein? Die Ideen reichen von neuartigen Baumaterialien über digitale Vernetzung bis hin zu autarken Energiekonzepten. Was kann die Straße der Zukunft realistischerweise leisten?

Die wichtigste Lösung ist die Entwicklung eines effizienten öffentlichen Verkehrsnetzes - ähnlich wie bei der U-Bahn. Angesichts der Kosten und des Zeitaufwands, die für den Bau solcher Lösungen erforderlich sind, besteht die effizienteste Alternative darin, schrittweise eigene Fahrspuren auf Stadtstraßen und Autobahnen zu entwickeln, die auf gemeinsam genutzte, automatisierte und kohlenstoffarme Mobilitätslösungen beschränkt wären.

Mit welchen intelligenten Diensten werden - oder könnten - sie ausgestattet sein?

Diese Fahrspuren würden mit Sensornetzwerken, insbesondere Kameranetzwerken, ausgestattet, um den Verkehr zu steuern und die Anzahl der Passagiere in den Fahrzeugen zu zählen. Außerdem werden sie über V2I-Kommunikation verfügen, um den Verkehrsfluss zu optimieren. Da die Fahrzeuge wahrscheinlich zunehmend automatisiert werden und immer in der gleichen seitlichen Position fahren, besteht die Gefahr einer schnelleren Verschlechterung des Straßenbelags. Unter diesem Gesichtspunkt könnten Sensoren im Straßenbelag zusammen mit neuen Straßenmaterialien, vorausschauenden Wartungskonzepten oder sogar Wartungsrobotern die Entwicklung besserer Strategien für das Management der Straßeninfrastruktur ermöglichen.

Auf der Straße der Zukunft könnten Straßeninfrastrukturen wie Ladestationen oder Laternen lokal und unabhängig mit Strom versorgt werden. Wie können wir in Zukunft Straßen als Energielieferanten für Fahrzeuge nutzen?

Straßeninfrastrukturen wie der Bürgersteig oder die Grünstreifen können zur Energiegewinnung genutzt werden. Diese Energie kann als Strom für die Versorgung der verschiedenen Sensoren und Aktoren genutzt werden. Sie kann auch in Wärme umgewandelt werden, die zur thermischen Kontrolle des Straßenbelags oder zur Sanierung von Häusern in Straßennähe verwendet wird. Die Fahrzeuge selbst könnten mit lokal erzeugter Energie betrieben werden, indem dynamischen Ladetechnologien wie dem induktiven Laden.

Frostbedingte Schlaglöcher, hitzebedingte Aufplatzungen, alters- oder materialbedingte Risse in der Fahrbahndecke verursachen jedes Jahr Erhaltungskosten in Milliardenhöhe. Als Folge des Klimawandels werden extreme Wetterereignisse wie lang anhaltende Hitzeperioden häufiger und belasten das Straßennetz zusätzlich stark. Wir erleben derzeit in Deutschland, dass die Straßeninfrastruktur veraltet ist und wir sie umfassend und langwierig erneuern müssen. Wir befinden uns in einem permanenten Baustellenmodus, der zudem noch mehr Staus verursacht, als es ohnehin schon ist. Was wird in diesem Zusammenhang für den Bau neuer und die Sanierung bestehender Straßen relevant werden?

Modulare Beläge können eine gute Lösung sein, um den Bau neuer Straßen und die Sanierung bestehender Straßen zu beschleunigen. Diese Art der Konstruktion ermöglicht es, neue Technologien von Haus aus einzubinden, und ist dank fortschrittlicher Robotiklösungen potenziell leichter zu automatisieren. Allerdings ist es schwierig, eine solche bahnbrechende Lösung von den Straßenbauunternehmen zu übernehmen. Infolgedessen ist sie derzeit auch wesentlich kostspieliger.

Wie können neue Technologien wie Sensoren oder IoT-Technologie sowie neue Materialien dazu beitragen, diesen hohen Reparaturbedarf im Voraus zu vermeiden?

In den Straßenbelag eingebettete IoT-Sensoren sind potenziell eine gute Lösung, um vorausschauende Wartungsstrategien zu entwickeln. Der Reifegrad solcher Lösungen ist jedoch noch schwer einzuschätzen, da die Lebensdauer der Sensoren immer noch kürzer ist als die Lebensdauer des Straßenbelags. Derzeit handelt es sich eher um eine Rückversicherungslösung für Straßenbesitzer, wenn sie neue Materialien verwenden oder den Anteil an recycelten Materialien im Straßenbelag erhöhen.

Neuartige Mischungen für Beton und Asphalt, der Zusatz von Mikroorganismen ... Welche Materialien und Lösungen werden dabei eine Rolle spielen? Welche Materialien sind aus ökologischer und ökonomischer Sicht sinnvoll?

Die Entwicklung von Asphaltbelägen aus recycelten Gesteinskörnungen in Kombination mit neuartigen Biobindemitteln dürfte ein ziemlich großer Erfolg werden - unter der Voraussetzung, dass diese Biomaterialien nicht mit den landwirtschaftlichen Flächen konkurrieren, die der menschlichen Ernährung dienen.

Um wie viele Jahre könnte die "Lebensdauer" von Straßen ungefähr verlängert werden?

Das ist eine schwer zu beantwortende Frage. Die jüngsten Experimente zeigen, dass diese Art von Straßenbelag eine längere Lebensdauer hat als ein klassischer Straßenbelag auf Ölbitumenbasis. Allerdings sind die Einrichtungen für beschleunigte Tests möglicherweise nicht vollständig geeignet, um solche biobasierten Materialien zu bewerten. Darüber hinaus sind die Ressourcen noch zu gering, um den gesamten Bedarf zu decken, und es müssen neue Ressourcen gefunden werden, um die Lösung zu erweitern. Ganz allgemein ermöglichen die intelligenten Straßenlösungen die Entwicklung neuer vorausschauender Instandhaltungsstrategien, so dass die Instandhaltungskosten aufgrund der "Nichtlinearität" der Straßenalterung gesenkt werden können. In gewissem Sinne könnte man sagen, dass die Straße der Zukunft immerwährend oder "forever open" sein wird.

Welche Pilotprojekte können Sie zum Beispiel nennen?

Das nationale Projekt I-STREET ist ein industrielles Projekt, das den integrierten Ansatz, von dem wir sprechen, veranschaulicht. Auf europäischer Ebene wurde im Rahmen des Projekts Biorepavation eine neuartige Biobitumen-Belaglösung entwickelt. Das Projekt INCIT-EV wird induktive Ladetechnologien demonstrieren. Im Rahmen des HERON-Projekts wird ein Roboter für die modulare Inspektion und den Bau von Straßenbelägen entwickelt. Das Projekt Augmented CCAM wird sich mit der physischen und digitalen Infrastruktur befassen, die für die automatisierte Mobilität erforderlich ist.

Wenn es also um die Einführung von Straßen der fünften Generation geht - sprechen wir dann von zehn, zwanzig oder eher dreißig Jahren?

Da wir mit dem Klimawandel konfrontiert sind, müssen wir so schnell wie möglich Lösungen auf Lager haben und sie innerhalb der nächsten zehn Jahre umsetzen. Wenn wir jedoch die Straße der fünften Generation als eine betrachten, die von den besten aktuellen und zukünftigen Technologien profitieren kann, könnten wir in ein neues Paradigma der kontinuierlichen Innovation eintreten, in dem solche Fristen vielleicht nicht mehr relevant sind.

Vielen Dank für die spannenden Einblicke.

NICOLAS HAUTIÈRE

Ing. PhD Habil., ist leitender Forscher an der Universität Gustave Eiffel. Er leitet das Projekt "Route 5e Génération (R5G)" und ist Direktor der Abteilung Komponenten und Systeme (COSYS).

Prof. Nicolas Hautière © privat

Autor

Csilla Letay