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Vom Abstrakten in die Konkretion

Über Urbanismus von unten und gesellschaftliches Mobilitätsverhalten

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Martha Wanat und Prof. Stephan Jansen sprechen im Interview über Urbanismus von unten und die Notwendigkeit, aus dem Abstrakten ins Konkrete zu gelangen, um die Mobilitätswende zu meistern.

Martha Wanat und Prof. Stephan A. Jansen © privat

Im Gespräch mit Martha Wanat & Prof. Stephan A. Jansen, MOND - Mobility New Designs

Frau Wanat, Herr Prof. Jansen, Mobilität ist ein sehr facettenreiches, sehr vielschichtiges Themenfeld mit vielen Dimensionen, vor allem einer gesellschaftlichen und auch politischen. Aber es hat auch, wenn man so will, eine moralische, ethische. Frau Wanat, Sie bezeichnen sich als politische Unternehmerin. Sie beraten mit MOND - Mobility New Designs Kommunen und Unternehmen zu Mobilitätskonzepten und -lösungen. Würden Sie sagen, dass wir mit dem Thema städtischer Mobilität – insbesondere vor den Herausforderungen von Klimawandel, Wohnraumknappheit, Zugang zu Bildung und Gesundheit – zugespitzt formuliert auch einem Prozess der Neuverteilung, gar einem Verteilungskampf entgegenblicken?

Wanat: Absolut. Mobilität hat auf komplexe Weise mit sozialer Gerechtigkeit zu tun. Sie ist wesentlich politisch, weil sie direkte Auswirkungen auf die Gesellschaft hat, wie zum Beispiel auf unsere Gesundheit in der Stadt. Es gibt bestimmte Gesundheitsdeterminanten wie etwa den Bildungsstand, die ökonomische bzw. hygienische sowie die Wohnsituation, die mithin darüber entscheiden, wie stark man durch Lärm und Schmutz belastet ist. Die meisten wohlhabenden Haushalte befinden sich oft an den Rändern oder außerhalb der Stadt, abseits von Hauptverkehrsstraßen – oder wie im Falle von Berlin sogar in der Uckermark, auf dem Land. Für den Großteil der Menschen in der Stadt ist dies finanziell und aufgrund ihrer Arbeits- und Familienstruktur überhaupt nicht möglich.

Es ist offensichtlich, dass der Markt es alleine nicht schafft, soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Klimaschutz auf eine nur annähernd angemessene Weise zu gewährleisten. Die gesundheitspolitische ist nur eine von vielen nicht mehr zu ignorierbaren Dimensionen der Mobilität. Hier müssen Wirtschaft und Politik in eine ökosystemische Kollaboration treten und intersektorale Innovationen als Lösungen für die komplexen Herausforderungen entwickeln, denen wir uns als Gesellschaft gegenübersehen. Ich bin beispielsweise im „Netzwerk Unternehmensverantwortung“ der IHK Berlin. Hier erarbeiten wir ganz konkret Strategien für die Berliner Wirtschaft, um das Thema Nachhaltigkeit zugänglicher, verständlicher und auch umsetzbarer zu machen und auch zu zeigen, dass nachhaltige Geschäftsmodelle ertragreicher sein können als gegenteilige.

Seit dem ersten Lockdown ist beobachtbar, dass Städte auf der ganzen Welt das Momentum nutzen, um radikale Veränderungen anzustoßen, durch die Menschen mehr öffentlichen Raum zurückbekommen. Hierzu gehört auch die Schaffung von grünen Spiel- und Erholungsflächen; und wenn es erst einmal Pocket Parks sind, um eine urbane Überhitzung, wie wir sie in den letzten Jahren erlebt haben, zu vermeiden. Das gehört zu einer Mobilitätswende ebenso dazu wie eine Mikromobilitätsinfrastruktur oder wie der ÖPNV-Ausbau. Die Frage, wo es hingeht, ist nicht mehr verhandelbar.

Stichwort ÖPNV-Ausbau. Kann es dieser angesichts von Finanzierungslücken richten? Soll es die Privatwirtschaft machen? Sie haben ja gerade anklingen lassen, dass wir es nicht nur dem Markt überlassen dürfen, die Mobilitätswende umzusetzen. Wie soll es also gehen?

Wanat: Es geht nur gemeinsam. Im Bereich der betrieblichen Mobilität sollten Arbeitgeber anfangen, Mobilitätsbudgets zur Verfügung zu stellen, die individuell ausgestaltet werden können und die Flexibilität bieten, die Arbeitnehmerinnen brauchen und wollen. Es gibt mittlerweile viele Beispiele von Förderung und Zusammenarbeit zwischen Kommunen und lokaler Wirtschaft, wie z. B. in Dortmund, wo prototypisch Job-Tickets vergeben werden und dann getestet wird, wer es nutzt und in welcher Intensität. Die klimaneutrale betriebliche Mobilität, zu der paradoxerweise steuerrechtlich das Pendeln nicht gehört, ist ein immens großer Hebel. Es braucht Alternativen wie attraktive Mikromobilität und jene Budgets, die über den Arbeitgeber finanziert und auch steuerlich bevorteilt werden.

Jansen: Wenn wir über Mobilitätswende und ÖPNV reden, dann reden wir in Forschung und Beratung vor allem über eines: die Flächengerechtigkeit. Und in den sich weiter verdichtenden Städten über selbst aktivierende Mobilität, da diese einen deutlich geringeren Raumverbrauch aufweist – zugunsten auch der ansonsten vergleichsweise immer unbeweglicheren Autoverkehre. In der Flächen-Gerechtigkeitsfrage müssen wir also den Modal Split gestalten – alle miteinander. Und da wird das Auto den zentralen ÖPNV-, Radler- und Fußgängererreichbarkeiten weichen müssen. Das ist so alternativlos wie unstrittig – ob in Wissenschaft, Stadtentwicklung und auch bei den Automobilisten selbst. Zur Wahrheit des ÖPNV gehört aber auch: Die Qualität muss gesteigert werden.

Stichwort Qualität des ÖPNV. Wenn wir in den ländlichen Raum schauen, geht’s doch eher um die Quantität, denn der Bus fährt einfach zu selten, man ist vom Auto abhängig. Welche Lösungen kann es hier in Zukunft geben?

Jansen: Wir brauchen tatsächlich mehr Komfort, mehr Takt, mehr Daten, Qualität im öffentlichen Nahverkehr. Es ist vollkommen unerheblich, wo das ist. Wenn wir aber über den ländlichen Raum reden, dann reden wir natürlich nicht über klassische Nahverkehrskonzepte, sondern digital klügere intermodale Verkehre. Dort werden wir nicht den Fehler machen dürfen, einfach mehr Takt mit mehr leeren Waggons durch die Gegend zu fahren, sondern es wird durch die Digitalisierung um datenbasierte On-Demand-Verkehre gehen. Anruf-Sammeltaxis zu den Discos gab es schon früher im ländlichen Raum, wo es noch Disco hieß. Wir sprechen also im Prinzip über die Renaissance von datenbasierten Mitfahrzentralen, Ride-Sharings. Hier kann es Kosteneinsparungseffekte geben. Unser Ansatz bei MOND ist hier: die Verstädterung des Dorfs und die Verdörflichung der Stadt. Letzteres ist einfach: 15-Minuten-Städte und klares Quartiersmanagement in der Ansiedlung. Bei der Verstädterung des Dorfs geht es uns um „Social Mobility Hubs“ als Transitort mit Aufenthaltsqualität von urbanem Charakter. Es geht also um mobile, sozial stärkende Stadtstrukturen von inklusiven Mobilitätsangeboten über Gesundheitskioske, mobile Arztpraxen, mobile Einkaufsoptionen, Packstationen und andere Leistungen, die in lebensumweltlichen Belangen auch den ländlichen Raum stark berühren.

Wanat: Es gibt schon viele Projekte, seien sie kommunal oder genossenschaftlich getragen, die genau solche Rufbusse testen und auch mittlerweile etabliert haben. Man muss aber differenzieren zwischen Stadt und Land. Es handelt sich um zwei unterschiedliche soziale, kulturelle und behavioristische Welten. Die Städter:innen schätzen beispielsweise unter anderem die Anonymität der Stadt und fahren deshalb auch gerne individuell. Es muss daher entsprechende Alternativen zum Auto geben; und hier ist das elektrische Fahrrad wie andere Mikromobilitätsmittel eben nur ein Teil der Lösung. Auf dem Land etwa ist die Bereitschaft größer, in einem gemeinschaftlichen Konzept unterwegs zu sein. Das und viel mehr muss man berücksichtigen, wenn man Mobilität gestalten will. Jeder Standort – ob Speckgürtel oder Hauptbahnhof-Innenstadtlage – birgt einen Kontext, der bereits eine Infrastruktur und ein Mobilitätsverhalten und dadurch sehr individuelle Ressourcen und Potenziale aufweist. Dieser verbindende lokal- und bedarfsspezifische Denkansatz ist sehr wichtig.

Jansen: Übrigens: Den ländlichen Raum weiter zu besiedeln, ist nicht machbar, da wir ihn für eine nachhaltigere Landwirtschaft benötigen und uns keine weitere Versiegelung leisten können.

Wenn ein Unternehmen in eine Schieflage gerät, dann zieht es einen externen Berater hinzu, der zunächst an die Unternehmenskultur herangeht und dann an die Transformation der Organisationsstruktur. Wer kann denn in puncto Mobilität dieser Berater für unsere Gesellschaft sein?

Wanat: Grundsätzlich alle Akteure, aber eben in Kooperation und Ko-Kreation. Infrastrukturelle Veränderungen wie z. B. ein Umweg von zehn Minuten infolge einer Straßensperrung haben einen sofortigen Effekt auf das Mobilitätsverhalten. Das bedeutet aber nicht, dass damit auch Akzeptanz für das Neue da ist. Diese erreicht man nur über moderierte Beteiligungs- und Netzwerkformate, in denen verschiedene Akteur:innen zusammenkommen, Lösungen erarbeiten und immer wieder die relevanten Themen auf die Agenda setzen. Ein Beispiel sind Bürgerräte. Hier werden zunächst Gestaltungsparameter festgesetzt, also grundsätzliche Ziele und Leitlinien der Vorhaben. Zwischen den Para- metern gibt es genügend Spielräume, sodass Bürger und Bürgerinnen mitgestalten können, wie beispielsweise das verkehrsberuhigte Quartier schließlich aussieht. Das ist sehr wichtig, weil erst nach dieser Phase der gemeinsamen Konzeptionierung die Akzeptanz gegeben ist und auch der Hinzugewinn an Lebensqualität verstanden und gelebt wird. In vielen Städten gibt es inzwischen das Format der interdisziplinären Reallabore, die Akteure aus Wissenschaft, Wirtschaft, Lokalpolitik und Zivilgesellschaft zusammenbringen.

Jansen: An meiner Professur für Urbane Innovation an der Universität der Künste Berlin und bei MOND sind wir genau an dieser Schnittstelle. Aus dieser Warte ist die Antwort auf Ihre Frage „Wer kann ein gesellschaftliches Mobilitätsverhalten ändern?“ die unangenehme wie kooperationserzwingende Antwort: „Nur die Gesellschaft selbst!“

Wir nennen das „Urbanismus von unten“. Städte müssen normativ und regulativ diesen „Urbanismus von unten“ selbst von oben durchsetzen. Diese Gegenstromplanung ist in Deutschland schwach ausgebildet. Nur, es muss jetzt losgehen – zwischen klarer Kante und Partizipation.

Konkret starten wir bei MOND mit Mobilitätsbedarfsanalysen und Anrainer-Workshops als ein „human centered design“. Hier berücksichtigen wir regionale, topografische, demografische, biografische Phasen. Wir werten die Mobilitätsbedarfe dann mit Blick auf Infrastruktur aus. Danach entwickeln wir in Anrainer-Kontexten Lösungen, die tatsächlich Win-Win-Situationen ergeben, also dass Anrainer Kollateralnutzen von neuen Ansiedlun- gen von Unternehmen haben und nicht die Kollateralschäden der weiteren Ansiedlung tragen müssen: bessere Infrastruktur oder Zugriffe auf Mobilitätsstationen etwa.

Also ist es für die Mobilitätswende elementar, den persönlichen und/oder unmittelbaren Nutzen aufzuzeigen – vom Abstrakten ins Konkrete zu kommen?

Jansen: Definitiv. Wir haben drei Treiber der Unternehmen wie der Kommunen bei der neuen Mobilität: CO2, Komplexität und Kosten. Das Gute ist: Eine Mobilitätswende ist in allen drei Dimensionen immer ein Gewinn. Und die Individual-, Unternehmens- und Gesundheitssystem-Nutzen der selbstaktivierten Mobilität sind da nur noch obendrauf. Unsere Aufgabe bei MOND: die Gewinne für jeden Stakeholder aufzuzeigen. Neben unterschiedlichen Analysen machen wir es so konkret, dass wir z. B. Mobility Test Days veranstalten. Das heißt, wir kommen mit Mobilitätsmitteln zum Standort und beginnen – im engeren Sinne des Wortes – eine „Learning Journey“. Es geht in der Konkretion dann um die einzelne Fahrstrecke.

Wanat: Das Problem ist auch, dass das Thema Mobilität in der medialen Präsenz oder auch in der politischen Diskussion immer sehr abstrakt erscheint, weil es vermeintlich um Zukunftstechnologien geht. Die Hoffnungen werden quasi auf überüberübermorgen gesetzt. So ist es ein Leichtes, heute nicht zu handeln. Mir geht es um das Gegenteil; ein Bewusstsein zu schaffen im Sinne der Erkenntnis, dass wir nicht im Stau stehen, sondern der Stau sind. Also müssen wir – die verschiedenen Akteure der Gesellschaft – anfangen, miteinander zu reden, um den Stau zu vermeiden. Es ist entscheidend zu verstehen, dass Mobilität grundsätzlich sehr konkret und nicht abstrakt ist. Mit diesem Konkreten müssen wir umgehen lernen – und das geht am besten mit denen, die davon betroffen sind.

Welche Rückschlüsse ziehen Sie aus Ihren Bedarfsanalysen wiederum auf die tatsächlichen Bedürfnisse und Bedarfe auch im Hinblick auf – ohne Klischees bedienen wollen – genderspezifische Lebensrealitäten, auf gesellschaftliche Strukturen?

Wanat: Es gibt tatsächlich sehr gravierende Unterschiede und es ist auch kein Klischee, dass Frauen in der Stadt anders mobil sind als Männer. Bei Frauen nennt man das Trip-Chaining, also das Aneinanderketten verschiedener Stationen, was vor allem mit der Familienlogistik zu tun hat: Kinder in die Kita bringen, dann Job, dann Freizeit, dann Kinder zur Freizeit, dann wieder zurück, einkaufen und so weiter. Bei Männern ist es – immer noch überwiegend – wesentlich einfacher: Sie fahren sozusagen immer eine Strecke hin und zurück, in Sternverkehren, und verknüpfen Studien zufolge seltener. Wir brauchen hier mehr nachbarschaftliche Transport-, aber auch Pooling-Möglichkeiten, um z. B. im Zu- sammenschluss den Transport vieler Kinder, die in einem Quartier leben, zur Kita zu bewerkstelligen. Hierfür muss die Infrastruktur sicher sein – und zwar für Kinder als auch für Frauen. Denn Frauen entscheiden nach Sicherheit – faktisch und gefühlt. Beides ist gleichermaßen wichtig. Es muss sicher sein und Frau muss sich sicher fühlen. Das sollte von kommunaler Seite in der Umsetzung unterstützt werden.

Jansen: Anthropozentrische Verkehrspolitik bedeutet fast immer eine männlich dominierte Verkehrspolitik und damit auch männliche Verkehrsinfrastruktur. Quantitativ kann man auf Studienbasis eine Menge klar sagen: 1. Frauen laufen mehr als Männer. Dafür haben Männer mehr Schrittzähler. Das sagt eigentlich schon alles. 2. Frauen nutzen mehr Bus und Bahn als Männer. 3. Männer fahren häufiger Auto als Frauen, und auch viel unnötiger und länger. 3. Frauen sind deutlich häufiger Beifahrerin. 4. Männer fahren zwar mehr Fahrrad-Kilometer als Frauen, aber nur bei schlechter Infrastruktur. Sobald diese sicher ist, fahren Frauen mehr Fahrrad als Männer. 5. Wenn es um neue Mobilitätsdienste geht, nutzen Männer diese tatsächlich auch mehr als Frauen – zusätzlich. Das bedeutet vor allem, dass Frauen stärker auf Selbstbewegung abstellen als auf Technologie. Das heißt – um auf den Aspekt des Trip-Chaining zurückzukommen – dass Frauen deutlich mehr als Männer über Reiserouten, Tageszeiten und die Verbindung von Anlässen nachdenken. Das Interessante ist, dass sich in allen Statistiken zeigt, dass die Kinder- und Einkaufstransporte tatsächlich vorwiegend weiblich sind, ohne irgendeinen nationalkulturellen Unterschied. Datenerhebung und Verkehrsplanung müssen auf diesen Aspekt einer inklusiven Infrastruktur stärker eingehen. Und dann machen wir mit den Kids und den fitten Oldies gleich weiter ...

Ein deutliches Plädoyer für mehr weibliche Perspektiven in der Stadt- und Verkehrsplanung. Wäre die ausschließlich weibliche Perspektive grundsätzlich sinnvoller für die Gesamtgesellschaft?

Wanat: Wir müssen das, was Frauen an vernetzendem Denken und Verhalten bereits erfolgreich umsetzen und können, übersetzen in eine große Dimension, eine städtische Perspektive. Es ist ersichtlich, dass, wenn Frauen eine Stadt anführen – wie das in verschiedenen Kontexten global schon so ist – mehr Akteurinnen und Akteure in den Entwicklungsprozess mit einbezogen werden und das enorme positive Effekte auf die soziale Gerechtigkeit, das Klima und die Gesundheit hat. Kurz: Es braucht den Einbezug aller, weil es um eine kollektive Verhaltensänderung geht.

Jansen: Am Ende des Tages haben wir sehr ähnliche Perspektiven auf eine gelingende, gesunde Stadt. Nur haben Männer eine Windschutzscheibenperspektive auf ihre Welt. Frauen stehen meist vor der Windschutzscheibe in der Welt. Hier braucht es einen Perspektivwechsel, aber der geschieht jetzt. Wir gelangen jetzt endlich in eine Phase jenseits der Ideologie, denn wir Männer finden Sicherheit und Natur und Selbstaktivität auch gar nicht so übel.

Wanat: Eine lebenswerte Stadt erkennt man daran, wie wohl man sich in ihr fühlt. Das meiste, was wir unter der Mobilitätswende subsumieren, hat weniger mit neuer Technologie zu tun, sondern mit der physischen Gestaltung der Stadt, in der nicht nur die Natur, sondern auch die Lücke als schöpferischer Raum eine große psychologische Rolle spielt. Die entscheidende Frage ist: Wie müssen wir uns in ihr bewegen, um uns wohlzufühlen und gesund zu sein? Das sind zwei Parameter, die entscheidend sind und die mit Gender nichts zu tun haben. Seien es alte Menschen oder Kinder, die durch die aktuelle Mobilitätssituation benachteiligt und gefährdet sind: In den Städten ist es wichtig, Orte zu schaffen, an denen man sich gerne aufhält, erholen kann und sicher ist. Die Mobilität ist hier der entscheidende limitierende oder ermöglichende Faktor.

Jansen: Es geht um Mobilität und Platz, Mobilität und Zeit, Mobilität und Kosten, Mobilität und Lärm, Geschlecht und Milieu und Teilhabe. Der Sound der Städte, der Geruch der Städte – das sind Dimensionen, die unterschwellig wahrgenommen werden, und das eben nicht durch die Windschutzscheibe im Auto. Da ist getönte Welt, gefilterte Luft, blecherne Bässe. Das Auto ist zu oft eine Kognitionsverengungsmaschine – und führt auch zu massi- ven Sinnesverlusten. Historisch haben wir uns im alten Rom, und selbst in Köln, schon anders gut bewegt. Städte sind wachsende, dynamische Entitäten, die nur durch die zivilgesellschaftliche Entwicklung gemeinsam mit Stadt und Unternehmen formatiert werden können, um die jeweils neuen Funktionen auch abbilden zu können. Und das gibt es tatsächlich nicht vom Band, da gab es bisher eben nur Autos.

Vielen Dank für das interessante Gespräch.

Martha Wanat © privat

Martha Wanat © privat

Martha Marisa Wanat ist politische Unternehmerin, Buchautorin, Sängerin und geschäftsführende Gesellschafterin der Mobilitätsberatung „MOND – Mobility New Designs“. Sie studierte Wirtschafts-, Politik- und Kulturwissenschaften an der Zeppelin Universität.

Prof. Stephan A. Jansen © privat

Prof. Stephan A. Jansen © privat

Prof. Dr. Stephan A. Jansen ist Co-Geschäftsführer von BICICLI & MOND, Professor für Urbane Innovation - Digitalisierung, Gesundheit und Mobilität - an der Universität der Künste, Berlin, langjähriger wissenschaftlicher Berater der Bundesregierungen sowie Autor bei „brand eins“.

„Es ist offensichtlich, dass der Markt es alleine nicht schafft, soziale Gerechtigkeit, Teilhabe und Klimaschutz auf eine nur annähernd angemessene Weise zu gewährleisten.“

Martha Wanat

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Autorin

Csilla Letay